Schokolade galt lange als erschwinglicher Luxus, als kleine Belohnung im Alltag und als verlässliches Produkt im Supermarktregal. Doch dieses Bild gerät zunehmend ins Wanken. In den vergangenen Jahren hat sich aus einer Reihe scheinbar isolierter Probleme eine handfeste Schokolade-Krise entwickelt, deren Auswirkungen inzwischen deutlich bei Verbrauchern, Herstellern und Erzeugerländern angekommen sind.
Der Klimawandel, massive Preissteigerungen bei Kakao, strukturelle Schwächen in der Lieferkette und globale Marktverwerfungen treffen eine Branche, die über Jahrzehnte hinweg von stabilen Preisen und wachsender Nachfrage geprägt war. Heute mehren sich die Warnungen: Schokolade wird teurer – und sie könnte dauerhaft ein anderes Produkt werden, als Konsumenten es gewohnt sind.
Als Andreas Ronken, Geschäftsführer des deutschen Schokoladenherstellers Ritter Sport, öffentlich vor steigenden Preisen warnte, brachte er eine Entwicklung auf den Punkt, die sich schon länger abzeichnet. Der Klimawandel, so Ronken, sei „im Supermarkt angekommen“. Was zunächst abstrakt klingt, lässt sich in Zahlen belegen.
Zahlen sprechen deutliche Sprache
Der weltweite Kakaopreis, über Jahre hinweg relativ stabil, ist seit 2022 regelrecht explodiert. Lag der Preis pro Tonne Rohkakao lange zwischen 2.000 und 3.000 US-Dollar, erreichte er 2024 an den internationalen Börsen historische Höchststände von teils über 10.000 US-Dollar, zeitweise sogar noch darüber. Innerhalb weniger Jahre hat sich der wichtigste Rohstoff der Schokoladenindustrie damit vervielfacht. Für eine Branche, in der Kakao den größten Teil der Rohstoffkosten ausmacht, ist das eine Zäsur.
Die Ursachen für diese Preisexplosion liegen vor allem in den Anbauregionen selbst. Rund zwei Drittel der weltweiten Kakaoproduktion stammen aus Westafrika, insbesondere aus der Elfenbeinküste und Ghana. Genau dort häufen sich seit Jahren extreme Wetterereignisse. Längere Trockenperioden wechseln sich mit Starkregen ab, Regenzeiten fallen teilweise ganz aus oder verschieben sich, Böden verlieren an Fruchtbarkeit.
Kakao ist eine empfindliche Pflanze, die konstante Temperaturen, ausreichend Feuchtigkeit und stabile klimatische Bedingungen benötigt. Schon geringe Abweichungen können Erträge massiv reduzieren. In mehreren Erntejahren fielen die Erträge in Westafrika deutlich niedriger aus als erwartet, was das globale Angebot stark verknappte.
Nur ein Bruchteil kommt an
Hinzu kommen Krankheiten wie das sogenannte Swollen-Shoot-Virus, das vor allem in Ghana ganze Plantagen unbrauchbar gemacht hat. Millionen Kakaobäume mussten gefällt werden, Neuanpflanzungen brauchen Jahre, bis sie wieder Erträge liefern. Gleichzeitig kämpfen viele Kleinbauern mit steigenden Kosten für Dünger, Pflanzenschutz und Transport. Trotz hoher Weltmarktpreise kommt bei ihnen oft nur ein Bruchteil der Erlöse an, weil staatliche Preisregulierungen, Zwischenhändler und schwache Infrastruktur einen Großteil der Wertschöpfung abschöpfen. Für viele Bauern ist Kakao unter diesen Bedingungen kaum noch attraktiv, sodass sie auf andere Feldfrüchte umsteigen oder die Landwirtschaft ganz aufgeben. Auch das verschärft die Angebotsknappheit.
Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind längst im Einzelhandel angekommen. In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern sind Schokoladenpreise in kurzer Zeit deutlich gestiegen. Einzelne Marken erhöhten die Preise für klassische Tafeln um 20, 30 oder sogar mehr als 40 Prozent. In manchen Fällen wurde die Preiserhöhung durch kleinere Packungsgrößen kaschiert – ein Phänomen, das Verbraucherschützer als Shrinkflation bezeichnen. Für die Konsumenten bedeutet das: weniger Inhalt für mehr Geld oder schlicht höhere Preise an der Kasse. Branchenanalysen zeigen, dass Schokolade sich seit 2020 insgesamt um mehr als 70 Prozent verteuert hat. Gleichzeitig beginnt die Nachfrage zu sinken, zumindest mengenmäßig. Käufer greifen seltener zu oder weichen auf günstigere Produkte aus.
Finanzmärkte als große Einflussfaktoren
Für die Hersteller ist die Situation ein Balanceakt. Einerseits lassen sich Rohstoffkosten in dieser Größenordnung nicht vollständig intern auffangen, andererseits reagieren Verbraucher sensibel auf Preiserhöhungen. Große Konzerne wie Nestlé, Mondelez oder Lindt & Sprüngli haben bereits weitere Preissteigerungen angekündigt oder umgesetzt. Teilweise werden auch Rezepturen angepasst, etwa durch einen geringeren Kakaoanteil oder den Einsatz alternativer Zutaten. In Einzelfällen erfüllen Produkte dadurch nicht mehr die rechtlichen Kriterien, um überhaupt als „Schokolade“ bezeichnet zu werden. Was früher undenkbar gewesen wäre, wird heute aus Kostengründen Realität.
Die Krise hat auch eine finanzmarktgetriebene Komponente. Kakao wird an internationalen Terminbörsen gehandelt, wo Spekulationen Preisschwankungen zusätzlich verstärken können. In Phasen knappen Angebots treiben Fonds und Investoren die Preise weiter nach oben, was kurzfristig zwar Gewinne verspricht, langfristig jedoch zu noch größerer Unsicherheit für Produzenten und Verarbeiter führt. Gleichzeitig fehlt es in vielen Teilen der Lieferkette an langfristigen Verträgen, die Planungssicherheit bieten könnten. Die Folge ist ein Markt, der extrem volatil geworden ist.
Zwar gibt es Anzeichen für eine gewisse Entspannung bei den Preisen, doch Experten warnen davor, dies als Entwarnung zu verstehen. Selbst wenn sich der Kakaopreis wieder unterhalb früherer Rekordmarken einpendelt, bleibt er voraussichtlich deutlich höher als im historischen Durchschnitt. Zudem wirken viele Effekte zeitverzögert. Schokolade, die heute im Regal liegt, basiert oft auf Rohstoffverträgen, die Monate oder Jahre zuvor abgeschlossen wurden. Preisbewegungen schlagen daher nicht sofort, sondern schrittweise durch.
Mehr als vorrübergehender Schock
Gleichzeitig verschieben sich globale Produktionsstrukturen. Länder wie Ecuador investieren massiv in den Kakaoanbau und könnten mittelfristig eine größere Rolle auf dem Weltmarkt spielen. Doch auch dort sind die klimatischen Bedingungen nicht immun gegen den Klimawandel. Langfristig stellt sich die Frage, ob Kakao überhaupt in der heutigen Form und Menge weiter angebaut werden kann, ohne die ökologischen Grundlagen zu zerstören. Nachhaltige Anbaumethoden, höhere Einkommen für Bauern, klimaresistente Pflanzen und stabile Lieferketten gelten als zentrale Stellschrauben, um die Krise abzumildern. Doch all das kostet Geld – und dürfte ebenfalls auf die Endpreise durchschlagen.
Die Schokolade-Krise ist damit mehr als ein vorübergehender Preisschock. Sie zeigt exemplarisch, wie verwundbar globalisierte Lieferketten sind und wie stark der Klimawandel inzwischen in alltägliche Konsumgüter hineinwirkt. Was früher als günstige Selbstverständlichkeit galt, wird zunehmend zum knappen, teuren Produkt. Für Verbraucher bedeutet das möglicherweise einen bewussteren Umgang mit Schokolade, für die Industrie einen tiefgreifenden Wandel ihrer Geschäftsmodelle. Und für die Politik stellt sich die Frage, wie fairer Handel, Klimaschutz und wirtschaftliche Stabilität miteinander vereinbart werden können. Sicher ist nur eines: Die Zeiten, in denen Schokolade jederzeit billig verfügbar war, gehören sehr wahrscheinlich der Vergangenheit an.
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