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Reportage

Salmonellen-Fleisch in Eigenmarke: Handelskette behält ukrainischen Lieferanten

Aus einem desaströsen Testergebnis bei Hühnerfleisch wurde eine exklusive oekoreich-Recherche, an dessen Ende ein Haubenkoch seine Kooperation mit einem Fleischhersteller aufkündigt.

8/12/2021
  • Ernährung
  • Österreich
Salmonellen-Fleisch in Eigenmarke: Handelskette behält ukrainischen Lieferanten

Nein, wir hätten uns selbst nicht gedacht, dass wir einmal eine Reportage veröffentlichen, die ausgerechnet diesen Titel trägt. Nicht im Jahr 2021. Nicht in Österreich. Doch leider haben sich wahre Abgründe aufgetan, als wir jüngst die Ergebnisse einer aktuellen Laboruntersuchung bei Hühnerfleisch durchblickten und danach weiterführende Recherchen unternahmen. Was mit Ekel begann, führte zu blankem Entsetzen.

Bei dem Test fiel ein Produkt besonders negativ auf: „Federike“, eine Eigenmarke des REWE-Konzerns. Von den Konsumentenschützern wurde sie in allen Kategorien, also bei Sensorik, Mikrobiologie und Hygiene, als „nicht zufriedenstellend“ klassifiziert. Das kommt in der Lebensmittelbranche in etwa einem Totalschaden gleich. Salmonellen waren in der Laboruntersuchung nachweisbar, außerdem Campylobacter und antibiotikaresistente Keime.

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Salmonellen im Essen sind keine Nebensächlichkeit
Salmonellen im Kühlregal – wie ist das möglich?

Viele Menschen fragten sich daraufhin: Wie ist es überhaupt möglich, dass so ein Produkt in Österreich legal verkauft werden darf? Gibt es keine Vorschriften, die verhindern, dass derartiges Fleisch im Regal landet? Und was denkt sich eigentlich ein Handelskonzern dabei, wenn er solche Waren verkauft und damit seinen Kund*innen absolut nichts Gutes tut? Heiligt der Profit wirklich alle Mittel? Ist inzwischen bei uns schon alles erlaubt?

Wir sind diesen Fragen nachgegangen. Denn für uns war es genauso unverständlich wie für die Konsument*innen, die uns auf dieses Testergebnis aufmerksam gemacht hatten. Erste Nachfrage-Station war natürlich der Konzern, der dieses Produkt nicht nur ins Regal legt, sondern auch seine Erzeugung als eigene Marke beauftragt: REWE. Genauer gesagt die Tochterfirma „Penny Markt Österreich“ des deutschen Milliardenkonzerns.

Die Konsumentenschützer*innen vom VKI hatten zuvor schon folgende, durchaus erstaunliche Rückmeldung zum desaströsen Testergebnis der Lebensmittelprobe erhalten. Karin Dorfner von der REWE-Gruppe meinte dazu: „Bezüglich des Nachweises von Salmonellen und Campylobacter ist zu sagen, dass bei Vorhandensein des Küchenhygienehinweises (und dies ist bei betreffendem Produkt der Fall) laut Verordnung 178/2002 kein Grund zur Beanstandung besteht. Auch antibiotikaresistente Keime werden beim Kochen oder Braten abgetötet und stellen bei Einhaltung der Küchenhygiene keine Gefahr dar. Wir nehmen die Beurteilung jedenfalls sehr ernst und haben bereits Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet und eine Nachuntersuchung beauftragt.“

Der REWE-Konzern nimmt das offenbar in Kauf

Das ist insofern bemerkenswert, als dass der REWE-Konzern damit nicht nur eingesteht, dass in seinen Regalen tatsächlich Produkte liegen, die mit Salmonellen und resistenten Keimen belastet sind – sondern das auch noch relativiert. Dabei ist das überhaupt keine Banalität. Es ist gut, dass der Konzern sich zumindest genötigt fühlt, eine „Nachuntersuchung“ zu beauftragen, die Ergebnisse dürften aber noch nicht vorliegen. Und echte Konsequenzen scheint man aus dem Fall auch nicht zu ziehen, wie unsere weiteren Recherchen zeigen.

Wir wollten wissen, wer hinter diesem Salmonellen-Fleisch beim Penny Markt steckt. Denn die fröhlich klingende „Federike“ stammt nicht vom kleinbäuerlichen oder zumindest mittelständischen Nahversorger – sondern von niemand geringerem als einem Agrarkonzern aus der Ukraine. Dessen milliardenschwerer Eigentümer, ein Oligarch, noch dazu mit politischer Einflussnahme und allerlei Unstimmigkeiten bei Steuern und Menschenrechten aufgefallen ist. Klingt unglaublich? Gehen wir das Schritt für Schritt durch.
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Das Unternehmen wirbt mit bester Qualität
Federike“ – das Huhn eines ukrainischen Agrarkonzerns

Die „Federike“ ist ein Produkt, das von der Firma „Perutnina Ptuj“ erzeugt wird, einem Geflügelproduzenten aus Slowenien. Dieser hat nach eigenen Auskünften über 3.500 Mitarbeiter*innen, verteilt auf Anlagen am ganzen Balkan. Bereits vor Jahren wurde gemunkelt, dass das Unternehmen ins außereuropäische Ausland verkauft worden sei, doch erst im September 2018 erfuhr die Öffentlichkeit, dass tatsächlich der ukrainische Konzern „MHP SE“ die Mehrheit daran erworben hatte.

Der neue Eigentümer, die „Mironisvky Hliboproduct (MHP)“, ist das größte landwirtschaftliche Unternehmen der Ukraine. Es soll für 50 Prozent des industriell erzeugten Geflügels des Landes verantwortlich sein und zu den größten Geflügelproduzenten Europas zählen. Gegründet wurde es von Yuriy Kosiuk, einem ukrainischen Milliardär. Der Nettogewinn pro Jahr dieses Agrarkonzern beträgt laut Schätzungen mehrere hundert Millionen Euro. Ein globaler Gigant also.

Nicht zuletzt wurde der Eigentümer im Zusammenhang mit politischer Einflussnahme und sogar Menschenrechtsverletzungen genannt.


Der MHP-Konzern soll zudem der größte Bezieher von staatlichen Agrarförderungen in der Ukraine sein. Berichten zufolge ist der Konzern dadurch ein Netto-Empfänger – er bezieht also mehr staatliches Geld, als er in Form von Steuern zahlt. Außerdem gibt es Berichte, wonach MHP auch Steuervermeidung im großen Stil betreibt, unter Nutzung von Steuerparadiesen. Nicht zuletzt wurde der Eigentümer im Zusammenhang mit politischer Einflussnahme und sogar Menschenrechtsverletzungen genannt.

Mit dem Knochentrick wird „EU-Fleisch“ erzeugt

Doch die MHP ist auch in Österreich kein unbekanntes Unternehmen. Bereits 2019 sorgte es für Aufsehen, als bekannt wurde, dass es unter Umgehung der restriktiven Importbegrenzungen massenhaft Hühnerfleisch in die Europäische Union schafft. Insbesondere der Import von Hühnerbrüsten ist in der EU streng reglementiert. Also hat MHP einen Trick angewandt: Beim Zerlegen der Hühner in der Ukraine wird ein Knochen daran belassen, so dass das Fleisch als minderwertiges Teil klassifiziert werden kann.

In Slowenien und in den Niederlanden, wo der Konzern über Niederlassungen verfügt, wird der Knochen entfernt und kann dann innerhalb der EU wiederum frei transportiert werden. Doch das auf diese Weise entstandene „EU-Produkt“ kann auch in Drittmärkte zollfrei exportiert werden. Außerdem bekam der Konzern, zumindest in der Vergangenheit, großzügige Kredite durch europäische Finanzinstitutionen. Mit diesem Geld wurden dann mutmaßlich Tierfabriken in der Ukraine und anderswo gebaut.
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Der Haubenkoch Jürgen Gschwendtner war kurzzeitig als Testimonial aktiv
Schöne heile Welt: Ein Spitzenkoch als Testimonial

Der ukrainische Agrarkonzern scheint also Geschäftspraktiken an den Tag zu legen, die nicht unbedingt verkaufsfördernd sind. Umso wichtiger ist daher, dass im Außenauftritt möglichst auf schöne Bilder gesetzt wird. Die Österreich-Tochter der Perutnina Ptuj hat diese Aufgabe übernommen. Denn nach außen hin gibt sich das Unternehmen jetzt als großer Tierfreund. Und hat sich für die Aufhübschung seiner Aktivitäten auch einen echten „Küchenstar“ geholt, den österreichischen Haubenkoch Jürgen Gschwendtner.

Der bekannte Koch verkündet auf der Internetpräsenz des Unternehmens: „Ich bin stolz, mit Perutnina Austria GmbH und den Produkten von Perutnina Ptuj einen qualitativ hochwertigen und verantwortungsbewussten Partner gefunden zu haben, der mich in meiner Leidenschaft, dem Kochen, mit seinen Geflügelprodukten unterstützt. Ich freue mich auf viele g’schmackige Rezepte und Gerichte, die wir ab jetzt regelmäßig gemeinsam zubereiten werden.“

Das ist dann doch einigermaßen verwunderlich. Vor allem angesichts dessen, dass das Fleisch von Perutnina, wie wir dem Test entnehmen können, alles andere als „g’schmackig“ ist. Wieso gibt sich also ein honoriger Mensch, den man nicht nur für seine tollen Gerichte schätzt, sondern der mit seinen Videos auch für gute Laune sorgt, für sowas her? Weiß er am Ende eigentlich, wofür und für wen er da genau wirbt, wenn er den Kochlöffel schwingt? Wir haben nachgefragt.

Ein Mensch mit Gewissen: Der Koch steigt aus

Die Reaktion kam prompt und fiel überraschend aus. „Weder die offenbar bestätigten Qualitätsprobleme der Hühnerfleisch-Marke „Federike“, noch die MHP SE und ihre möglicherweise fraglichen Praktiken sind uns bekannt. Die von Ihnen angesprochenen Vorwürfe nehmen wir sehr ernst!“ ließ PR-Beraterin Kathrin Anna Hoffmann, die die Kommunikationsagenden des Kochs betreut, uns wissen.

Und sie führte weiter aus: „Wie bereits erwähnt, bezogen sich unsere Aktivitäten ausschließlich auf die Premium-Marke „PPP“, zu der uns keinerlei Zweifel an der Produktqualität bekannt sind.“ Doch der Koch zog dennoch die Konsequenzen und kündigte per 4. August 2021 die Zusammenarbeit mit Perutnina auf, die nach eigenem Bekunden erst am 5. Juli begonnen worden war. Das nennt man dann wohl Haltung. Kann man sich so eine Einsicht auch von dem erwarten, der daran verdient?
nullFacebook, Werbeseite von Penny Markt Österreich
Beim REWE-Konzern ist man offenbar nach wie vor stolz auf seinen Partner
Nachgefragt bei REWE: Was sagt der Handelskonzern dazu?

Wir haben REWE mit dem Ergebnis unserer Recherchen konfrontiert und wollten wissen, ob das miserable Testresultat, die Geschäftspraktiken des Konzerns und seine dubiosen Hintergründe nicht Gründe genug wären, um die „Federike“ aus dem Sortiment zu nehmen oder zumindest von einer anderen Firma erzeugen zu lassen. Denn es finden sich nach wie vor Werbevideos von Penny Markt Österreich, in dem diese angepriesen wird: „Kennt ihr „Federike“ schon? Unsere Eigenmarke für einfach gute Puten- und Huhn-Artikel.

Paul Pöttschacher, Sprecher der REWE-Gruppe, teilte uns mit: „Der von Ihnen genannte Lieferant ist nach IFS (International Featured Standard / Food) zertifiziert. Unabhängige Kontrollen finden in regelmäßigen Abständen angemeldet sowie unangemeldet statt. Wir haben zuletzt den VKI-Test zum Anlass genommen, um im Juni 2021 eine weitere Überprüfung durchzuführen. Der Lieferant beliefert ausschließlich Geflügelprodukte an Penny, die in Aktion angeboten werden.“ Das stimmt natürlich so nicht – denn der „Lieferant“ produziert eine Eigenmarke für den Konzern. Außerdem verwies der Konzernsprecher auf die „Leitlinie für Nachhaltiges Wirtschaften“ der REWE Group.

Die Leitlinien des Konzerns sind also genauso für den Mistkübel wie die vielen Gütesiegel, die sich andere gerne selbst basteln.


Darin steht unter anderem: „Im Falle vorsätzlicher grober Missachtung der in der Leitlinie beschriebenen Werte behält sich die REWE Group in Österreich Sanktionen vor.“ Nachdem uns Haubenkoch Jürgen Gschwendtner mitteilte, dass er seine Kooperation mit Perutnina Ptuj unmittelbar aufkündigte, haben wir uns daher erlaubt ein weiteres Mal bei REWE nachzufragen. Wir wollten wissen: Halten Sie immer noch an diesem Eigenmarken-Produzenten fest? Sehen Sie keine Verletzung Ihrer eigenen Leitlinien?

Profit über alles: Leitlinien zum kübeln

Offenbar nicht. Denn die knappe Antwort des Konzernsprechers lässt darauf schließen, dass sie auch weiterhin beabsichtigen mit diesem Unternehmen und seinen fragwürdigen Produkten zu handeln: „Wir vertrauen als Lebensmittelhändler auf ein funktionierendes Rechtssystem und maßen uns keine juristische Vorverurteilung an.“ Dass der mächtige REWE-Konzern, milliardenschwer und damit durchaus in der Lage seine Lieferketten zu gestalten, trotz entsprechender Richtlinien hier nicht handelt, ist vielsagend.

Die Leitlinien des Konzerns sind also genauso für den Mistkübel wie die vielen Gütesiegel, die sich andere gerne selbst basteln und die mitunter sogar das Gegenteil von dem bewirken, was sie versprechen. Auch in diesem Fall muss man leider sagen, dass der REWE-Konzern seine Verantwortung nicht wahrnimmt und trotz offenkundiger Mängel der Ware und trotz dubioser Machenschaften seiner Lieferanten keine Konsequenzen ziehen möchte. Offenbar geht für manche der Profit doch über alles. Mehr als bedauerlich.



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