Vor kurzem hat ein Beitrag im sozialen Netzwerk „LinkedIn“ für viel Aufsehen gesorgt. Er trägt den Titel „Bauer Karl, Biosprit und die spanische Gurke“ und befasst sich mit unserem gegenwärtigen Nahrungsmittel-System und der Landwirtschaft. Weil er es so gut auf den Punkt bringt, wollen wir diesen Text von Ossian Vogel hier veröffentlichen. Es ist keine Fachabhandlung, sie legt keinen Wert auf Exaktheit, es ist ein Meinungsbeitrag, der zuspitzt, der vereinfacht - aber der das System und seine Schwachstellen gut skizziert. Zum Nachdenken:
Bauer Karl geht in das Gewächshaus, pflückt frische Gurken und verkauft sie auf dem Markt. So war es vielleicht einmal. Heute ist es so:
Fritz, der Einkäufer eines Einzelhandelskonzerns, der einem amerikanischen Finanzinvestor gehört, hat durch Computerrecherche herausgefunden, dass in Spanien gerade die Gurken reif und besonders günstig sind. Er ordert sofort 50.000 Gurken auf einer Gemüsefarm in der Nähe von Sevilla, die einem französischen Agrarkonzern gehört.
Die Gurken werden aus dem patentiertem Saatgut eines holländischen Saatgut-Konzerns gezogen, der den Markt beherrscht. Diese Gurken wachsen gerade und schnell und können sich nicht über Samen selbst vermehren.
Dafür, dass auf den Feldern nur Gurken wachsen, sorgt ein Unkrautvernichtungsmittel, dass von einem deutschen Chemiekonzern produziert wird. Es kostet nicht viel, die Fabrik ist in Mexiko. Es ist allerdings nicht besonders gesund. Das merkt Nelson, der die Gurken erntet. Er hustet viel in letzter Zeit. Nelson ist ein Flüchtling aus Tunesien, der illegal auf der Farm arbeitet. Deshalb kostet das Ernten der Gurken nicht viel.
Bevor die Gurken verladen werden, werden sie mit einer luftdichten Plastikfolie überzogen. Die Folien stammen von einer mittelgroßen Chemiefabrik bei Erfurt. Sie kostet nicht viel, die Produktion ist voll automatisiert und wird nur noch von einem Menschen gesteuert.
Der Transport nach Deutschland kostet auch nicht viel. Der Diesel des LKW ist subventioniert und der Fahrer, Muzafer, stammt aus Albanien. Er lebt die meiste Zeit in dem LKW und fährt nur im Urlaub zu seiner Familie nach Hause. Er fährt die Gurken zur Logistikzentrale des Konzerns in Herford.
Das Lagern kostet dort nicht viel, die Stadt hat das Grundstück praktisch umsonst an den Konzern abgegeben. Sie war scharf auf die Gewerbesteuer. Von Herford aus werden die Gurken per Diesel-Kleintransporter an die Läden verteilt. Die Verteilung der Waren auf die LKW steuert ein Computer. Der Fahrer Janosz des LKW, in den unsere Gurke jetzt verladen wird, ist aus Polen. Auch er lebt den größten Teil des Jahres in seinem LKW…
Unsere Gurke landet bei einem Discounter in Uslar. Die Verteilung übernimmt Stefan. Er war in einer Firma beschäftigt, die Solaranlagen produzierte. Die werden jetzt aus China importiert, deswegen ist Stefan seit einiger Zeit arbeitslos und ist in dem Laden im Rahmen einer AB – Maßnahme tätig. Er kostet seinen Arbeitgeber nicht viel.
Ach, und Bauer Karl? Der produziert jetzt Mais für Biotreibstoff. Er tut das sehr rationell unter Einsatz von viel Chemie, Gülle und Maschinen und sitzt den ganzen Tag auf dem Trecker. Der mit subventioniertem Diesel betankt wird. Deshalb kostet der Biosprit nicht viel.
Der Biosprit wird subventioniertem Kerosin beigemischt und damit fliegen Anke und Uwe aus Erfurt für ein Wochenende nach Spanien. 90 Euro pro Person. Die Gurke hat ja nur 49 Cent gekostet. Da kann man sich das leisten.
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