Insbesondere in der Europäischen Union, aber auch in den meisten anderen Nationen, sind Mineralölkonzerne an die Einhaltung von Richtlinien hinsichtlich ihres CO2-Ausstoßes gebunden. Dafür gäbe es einige Möglichkeiten wie die Nutzung von Biodiesel oder die Errichtung von Klimaschutzprojekten. Bei letzterer Option gibt es weniger Auflagen, diese Projekte können auch in anderen Ländern entstehen. Ziel soll es sein, den CO2-Verbrauch in der Ölförderung und Nutzung von Öl zu reduzieren. Dies geschieht über die sogenannten UER (Upstream Emission Reduction) Zertifikate, die 2020 von der deutschen Bundesregierung eingeführt wurden.
In Deutschland müssen solche Projekte von unabhängigen Stellen kontrolliert und zertifiziert werden, um eine Anerkennung und vor allem Zulassung zu erhalten. Wenn diese Projekte durch das Umweltbundesamt anerkannt werden, können Mineralölkonzerne dies in ihre Statistik aufnehmen und so ihren CO2-Verbrauch nachweisen, zum Teil bekommen sie auch hohe Geldsummen wieder zurück. Die Hauptkosten dieser Projekte tragen die Konsument:innen – in anderen Worten: jeder Liter Kraftstoff finanziert ein Klimaschutzprojekt mit … oder sollte es zumindest. An und für sich ist dieser Prozess so gestaltet, dass die Kontrollen und Zertifizierungen über mehrere Stellen laufen und somit in Gänze nachvollziehbar ist. Das größte Problem ist, wenn Informationen und Anträge bzw. Kontrollen und Zertifizierungen gefälscht werden – denn genau das ist passiert.
Klimaschutzprojekt – wo?
Eine Recherche des Investigativprogramms „frontal“ des ZDF veröffentliche im Mai eine entsprechende Recherche zu Klimaschutzprojekten deutscher oder in Deutschland operierender Mineralölkonzerne. Diese haben eine Vielzahl an Klimaschutzprojekten in der Volksrepublik China als die ihrigen gemeldet und es von unabhängigen Stellen zertifizieren lassen. Mit den entsprechenden Nachweisen und Dokumenten waren sie in der Lage, diese beim Umweltbundesamt anerkennen zu lassen. Dass die Projekte in China entstehen ist kein Problem, denn es gibt keine Ortsgebundenheit – Hauptsache ist nur der Klimaschutz, und der muss nachgewiesen werden.
Als unabhängige Prüfstellen agieren eigene Zertifizierungsunternehmen, die sich eigens auf solche Projekte spezialisiert haben. Drei Beispiele für solche Unternehmen sind Verico SCE (Bayern), Müller-BBM Cert Umweltgutachter (Nordrhein-Westfalen) sowie eine Sparte des TÜV Rheinland, die für Unternehmen ihre Projekte als unabhängige Instanz zertifizieren sollen. Die entsprechenden Unterlagen und Ergebnisse werden dann mit dem Antrag beim Bundesumweltamt eingereicht und geprüft. Gesetzt der Fall, dass dies alles passt, wird eine Zulassung ausgesprochen. Jedoch dürften die Prüfungen des Umweltbundesamtes nicht allzu gründlich ausgefallen sein, da bereits vor dem Bekanntwerden der Recherche eine Untersuchung von sieben Projekten in China eingeleitet wurde. Grund dafür war das umgehende Gerücht von Ungereimtheiten. In dieser erneuten Untersuchung wurde nur ein einziges Projekt als kritisch empfunden und nicht angenommen, bei den anderen gab es laut Umweltbundesamt nichts zu bemängeln.
Nun wird der Fall größer, nachdem „frontal“ an die dreißig Projekte in China unter die Lupe genommen hat. Neben den Unterlagen für das Umweltbundesamt wurden auch ältere Satellitenbilder und aus China zugespielte Fotos ausgewertet. Mithilfe der Unterlagen war es möglich, Standorte und den vermeintlichen Zeitpunkt der Errichtung oder Inbetriebnahme festzustellen. Ein Projekt nahe der Hauptstadt Peking wird von einer Reporterin aufgesucht, das als Hauptquartier eines Partners in den Dokumenten ausgewiesen ist. Stattdessen fand sich dort nur ein leerer Hühnerstall und kein Klimaschutzprojekt, auf Fotos waren moderne Heizkessel ausgewiesen worden. Menschen in der Umgebung haben nichts gesehen, ein Arbeiter bei der nahen Ölförderung musste ebenfalls vereinen.
Im Blick der Menschenrechte
Dabei war das nur ein Fall von vielen. Die meisten der 30 Projekte sind in der chinesischen Provinz Xinjiang angesiedelt, in der es mehrere kleine Ölfelder gibt. Xinjiang, die westlichste Provinz Chinas, ist die Heimat der Uiguren, die seit langer Zeit von der Zentralmacht in Peking unterdrückt werden. Mehrmals wurden Verletzungen der Menschenrechte in der Provinz nachgewiesen, Menschen werden in lagern gehalten und müssen harte Arbeit verrichten.
Eine Untersuchung vor Ort stellt fest, dass mehrere ausgewiesene Klimaschutzprojekte gefälscht sein müssen. Beispielsweise lässt sich das an der Inbetriebnahme und Errichtung ablesen. Bei zwei Projekten wurden falsche Jahre angegeben (der Betrieb wurde Jahre im Voraus aufgenommen), andere waren bereits errichtet worden. „Frontal“ geht davon aus, dass mindestens zwölf bis 17 der vermeintlichen Klimaschutzprojekte in China vorgetäuscht wurden – mit Vorsatz. Der Marktwert des angeblich eingesparten CO2 beträgt in Deutschland um die 623 Millionen Euro.
Ein weiteres Indiz kommt aus China selbst: eine dort ansässige Mineralölfirma hat sich beim Umweltbundesamt gemeldet. In einem Brief stellen sie fest, dass fünf ihrer eigenen Standorte als deutsche Klimaschutzprojekte ausgegeben werden und das ohne ihre Zustimmung oder gar Kenntnis. Sie bitten das Umweltbundesamt um eine entsprechende Prüfung dieses Anliegens. Auch Österreich scheint involviert zu sein, denn das hiesige Umweltbundesamt prüft nun ebenfalls vorsätzlichen Betrug. Betroffen sind mehrere der großen Mineralölunternehmen, darunter Shell, OMV, Rosneft und TotalEnergies. Einzig Shell hat sich dazu geäußert und will dem Verdacht nachgehen, alle anderen hüllen sich in Schweigen oder haben ihre Operationen in Deutschland reduziert.
Wie kam es zum Betrug?
Offen bleibt noch wie es zu diesem massenhaften Betrug im Detail gekommen ist, bislang lassen sich nur Puzzleteile zusammenfügen. Das deutsche Umweltbundesamt gibt zu, dass Betrug möglich sein könnte – setzt aber voraus, dass dies mit Absicht geschehen muss. Denn es müssten sowohl die Mineralölfirmen als auch die unabhängigen Gutachter den Betrug durchgeführt haben, selten werden die Standorte vom Umweltbundesamt selbst kontrolliert. Und in letzterem Fall wird auch davon ausgegangen.
In der Recherche von „frontal“ kamen die Zertifizierer Verico SCE und Müller-BBM Cert mehrmals vor, beide in Deutschland ansässig. Beide haben 41 beziehungsweise 38 Projekte in China begleitet und zertifiziert und leugnen jede betrügerische Absicht. Interessant dabei ist die Aussage eines Insiders: laut ihn kämen 70% dieser Klimaschutzprojekte von einer Quelle, beide Zertifizierer würden sich dann die Projekte untereinander aufteilen. Sie würden jeweils zwei Personen entsenden
Kritik und Folgen
Starke Kritik kam beispielsweise von Unternehmen, die Biokraftstoffe produzieren und sich nun über den Tisch gezogen fühlen. Es war die Rede von Wettbewerbsverzerrung und vor allem von Betrug, da es nicht um den Klimaschutz, sondern nur um den eigenen Gewinn aufseiten der Mineralölunternehmen gehe. Stefan Schreiber, Vorsitzender von Verbio (Biodieselproduzent aus Brandenburg) hat die „chinesische“ Methode selbst ausprobiert und beim Bundesumweltamt ein Projekt (Bezeichnung BBZA) gemeldet. Zertifiziert wurde es durch Verico und Müller-BBM Cert, diese äußerten sich auch hier nicht zu. In Wahrheit war die Anlage schon lange vorher gebaut worden, das beweisen Satellitenbilder.
Es war kaum ein Aufwand dabei, was Schreiber schockierte und meinte, dass es sehr leicht sei, fiktiv CO2 einzusparen ohne jemals etwas getan zu haben. Solche Betrügereien würden den guten Ruf von wirklichen Umweltschutzbemühungen zunichte machen und schaden. Starke Kritik kommt aus Fachkreisen und der Wissenschaft, die auch nicht am Umweltbundesamt selbst Halt machen. Die Projekte seien nicht genau untersucht und kontrolliert worden, dadurch wäre Betrug Tür und Tor geöffnet worden. Darüber hinaus fordern sie scharfe Konsequenzen und mehr Kontrolle, damit auch wirklicher Umweltschutz geschieht. Weitere Kritik kam aus der Branche des Zertifikatehandels wie der Gruppe GreenAir, die mehr Transparenz und klare Richtlinien einfordern. GreenAir weist darauf hin, dass sie und viele andere Unternehmen in diesem Bereich jetzt schon mit schärferen Compliance-Regeln arbeiten und begrüßen daher den Sinneswandel beim Umweltbundesamt.
Die deutsche Bundesregierung reagierte auf die Erkenntnisse und beschloss Ende Mai ein Ende der Auslandsprojekte. Seit Ende Juni können keine neuen Projekte angenommen werden und das gesamte Konstrukt wird 2025 beendet nach nur fünf Jahren Laufzeit. Einzig Projekte im Inland werden zugelassen, die auch erheblich schärferen Richtlinien unterliegen. Die zuständige Ministerin Steffi Lemke (Grüne) hat sich im Mai noch nicht zur Causa geäußert. Ein weiteres Problem könnte sein, dass Deutschland ohne Wissen falsche Emissionsdaten weitergemeldet hat, dahingehend sind noch keine Folgen bekannt. Einzig das Umweltbundesamt ist aktiv geworden und möchte eine Kommission nach China entsenden und Untersuchungen anstellen. Sie haben chinesische Behörden um Amtshilfe gegeben und formal eine Anzeige gegen unbekannt in der Causa eingebracht.
Der Schaden ist noch nicht in Gänze nachvollziehbar, da weitere Untersuchungen angestellt werden müssen. Insgesamt umfassen die vermeintlichen deutschen Projekte in China einen Marktwert von 1,7 Milliarden Euro, wie viele davon Betrug sind muss aufgedeckt werden. Dennoch ist der Schaden geschehen, für den vor allem Kund:innen aufkommen mussten – durch den Erwerb und das Tanken von Kraftstoffen. Fakt ist, dass Betrug leider noch immer möglich ist und es neuer Richtlinien und Kontrollen bedarf, um effektiven Klimaschutz zu ermöglichen.
Weiterführende Links:
- Recherche des ZDF
- Reaktion auf Recherchen
- Konsequenzen beim UBA
In eigener Sache: Wir arbeiten unabhängig von Parteien und Konzernen. Um unseren Fortbestand zu sichern, sind wir auf Abonnent*innen angewiesen. Bitte schließen Sie jetzt ein Abo ab und ermöglichen Sie damit unsere Berichterstattung. Danke!