Am 9. & 10. Oktober 2024 finden in Steyr die "Österreichischen Konsumdialoge: Wasser" statt, bei denen die Wichtigkeit von Wasser in all seinen Facetten besprochen wird. Es geht um Trinkwasser, Hochwasser und virtuelles Wasser, um Wasserkraft und das Wasser in den Böden - oder sein Fehlen. Ganz wichtig dabei sind die Feuchtgebiete, also Auen, Seen, Teiche, Flüsse und Moore. Sie sind nicht nur für uns Menschen von großer Bedeutung, etwa als Erholungsräume oder Wasserspeicher, sondern auch für viele Tier- und Pflanzenarten.
Doch viele Feuchtgebiete sind in Österreich bereits zerstört oder drohen weiteren Schaden zu nehmen. Wir haben daher den Experten Harald Zechmeister von der Universität Wien zum Gespräch gebeten. Über die Wichtigkeit von Feuchtgebieten und speziell von Mooren, aber auch über die bestehenden Ängste in gewissen Interessengruppen, etwa den Forst- und Landwirten. Das gesamte Interview kann man in ungekürzter Form unten nachlesen:
oekoreich: Vor kurzem wurde das „Renaturierungsgesetz“ der EU beschlossen. Wie stehen Sie dazu?
Als Biologe und als Moorforscher stehe ich dieser Sache positiv gegenüber, vor allem, dass überhaupt etwas in diese Richtung unternommen wurde. Es gibt zwar in der Endfassung einige Verwässerungen gegenüber dem ursprünglich eingereichten, aber ich denke: wenn das wirklich umgesetzt wird, und da gibt es noch etliche Fragezeichen, dann stehe ich dem sehr positiv gegenüber.
oekoreich: Grob geschätzt: Wie schwer schätzen Sie die Bedrohung von Natur und Umwelt in Österreich respektive in Europa ein?
Die Bedrohung ist sehr groß. Man braucht sich nur die Artikel 17-Berichte (der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie), die die Natura-2000 und FFH-Lebensräume behandeln, durchlesen. Da sieht man, dass ein Großteil der gefährdeten und stark gefährdeten Lebensräume in Österreich in einem schlechten Zustand ist. Das betrifft die Moore, das betrifft viele Trockenrasen, viele Sandlebensräume und so weiter. Gerade diese sind eher gefährdet, weil sie weniger geworden und zusätzlich überwiegend in einem schlechten Zustand sind. Da bin ich sehr skeptisch.
oekoreich: In der Berichterstattung zum Renaturierungsgesetz wird die Rolle der Moore bzw. der Feuchtgebiete im Allgemeinen betont. Weshalb sind diese für das Klima und die Umwelt so wichtig?
Weil Moore weltweit die größten Kohlenstoffspeicher von allen Lebensräumen sind. Moore bedecken weltweit zwar nur 3% der gesamten Fläche, speichern aber mehr als doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen. Sie speichern auch ungefähr zwei Drittel des Kohlenstoffs, der in der Atmosphäre vorkommt. Nur: wenn ich diesen Kohlenstoff, der in den Mooren gespeichert ist, freisetze, - und das passiert automatisch, wenn ein Moor Wasser verliert – dann wandelt sich der Kohlenstoff in CO2 um. Wenn diese gewaltigen Mengen, und es sind wirklich gewaltige Mengen, Kohlenstoff zu CO2 werden, dann führt das zu weiteren, massiven Klimaverschlechterungen.
oekoreich: Sie haben es bereits angeschnitten: Wie binden Moore und Feuchtgebiete CO2?
Die Pflanzen, die in einem Moor wachsen, nehmen das CO2 in der Fotosynthese auf und brauchen es, um Biomasse zu bilden, also Stängel, Wurzeln und Blätter. Und wenn normalerweise eine Pflanze abstirbt, dann kommen die Mikroorganismen, Regenwürmer etc. und zersetzen dieses tote Material. Aber in einem Moor, das wassergesättigt ist, gibt es fast keinen Sauerstoff. Was bedeutet: alle diese Organismen, die normalerweise totes Material zersetzen, fehlen dort. Dieser Kohlenstoff, der in den Pflanzen und den dort lebenden Tieren gebunden ist, bleibt im Moor erhalten. Dieser wird nicht, wie es bei Wiesen und Wäldern der Fall ist, wieder zu CO2. In Wäldern und Wiesen habe ich einen permanenten Kreislauf – Pflanzen wachsen, sterben ab, werden umgesetzt und das CO2 zirkuliert. In einem Moor nehmen die Pflanzen nur das CO2 auf und speichern es dann aber in Form von Kohlenstoff, in Form von Biomasse, letzten Endes als Torf. Die Rückführung von CO2 in die Atmosphäre fehlt in einem Moor.
oekoreich: Wie helfen Feuchtgebiete dem Ökosystem, etwa den Tieren?
Nun, die Frage ist insofern nicht ganz richtig, weil die Moore ja ein Ökosystem sind, aber eben ein ganz besonderes. Es beinhaltet Tiere und Pflanzen, die sonst kaum irgendwo vorkommen und das macht sie so speziell und in Bezug auf die Biodiversität spannend. Die dort wachsenden Pflanzen brauchen eine ganz spezielle Anpassung, dass sie mit dem vielen und sauren Wasser, mit den ganz wenigen Nährstoffen zurechtkommen. Das sind alles hochspezialisierte Pflanzen, die dort vorkommen und von diesen Pflanzen leben auch wieder ganz hochspezialisierte Tiere, die auf Wollgras oder Torfmoos angewiesen sind. Gerade Hochmoore sind nicht extrem artenreich, aber die Arten, die dort vorkommen, kommen ansonsten nirgendwo vor.
oekoreich: Welche Faktoren beeinflussen den Weiterbestand von Feuchtgebieten?
Alles bestimmend ist jedenfalls der Faktor Wasser. Solange Moore wassergesättigt sind, und das sind sie in ihrem natürlichen Zustand, dann wachsen sie, nehmen CO2 auf und geben keines frei. Sozusagen: das Vorhandensein von genügend Wasser ist schon mal eine Grundvoraussetzung und das gilt für ein Hochmoor ebenso wie für ein Niedermoor. Bei einem Hochmoor kommt noch dazu, dass es in erster Linie von den Niederschlägen lebt. Das heißt: wenn in einer Gegend die Niederschläge weniger werden, dann geht es dem Moor schlechter. Das erleben wir auch zum Teil, eben klimawandelbedingt, also: in manchen Regionen Österreichs werden die Niederschläge weniger und dadurch wachsen auch die Hochmoore schlechter.
In dem Moment, wo ein Moor nicht mehr genug Wasser hat, kommt der Sauerstoff dazu und wandelt den Kohlenstoff in CO2 um. Wasser ist somit der mit Abstand wichtigste Faktor. Darum ist es wichtig, dass man das Wasser im Moor lässt und nicht einen Graben zieht, um das Wasser aus dem Moor herausleitet. Weil dann trocknet es aus und wird von der CO2-Senke zur CO2-Quelle! Noch dazu kommt: wenn es wärmer wird steigt die Verdunstung, es geht auf diese Art und Weise Wasser verloren. Die Temperatur an sich macht da weniger aus.
Natürlich kommen dann die menschlichen Eingriffe in die Moore. Und wir dürfen nicht vergessen: wir haben nur mehr 10% der ursprünglichen, in Österreich einst vorhanden Moorflächen. Von diesen 10% sind nochmal 90% schon durch den Menschen negativ beeinflusst. Also haben wir nur noch 1% der ursprünglichen Moorfläche, die das macht was sie soll, nämlich CO2 aufzunehmen und nicht abzugeben. Da wirkt eben dieses Renaturierungsgesetz, dass man zumindest hergeht und sagt: okay, man soll keine neuen Moore mehr drainagieren und beginnen, bestehende Moore wieder unter Wasser zu setzen.
oekoreich: Welcher Aufwand ist mit der Renaturierung von Feuchtgebieten verbunden?
Das hängt natürlich ganz stark von der Größe es Moores ab und wie stark es geschädigt ist. Grundsätzlich gibt es eine Reihe an Beispielen in Österreich, dass das gut funktioniert. Man muss nur in die Gräben, die zum Abfluss in die Moore gezogen wurden, wieder dämmen. Da kommt es dann auf die Moore an, bei kleinen Mooren können es 20, bei großen Moor-Renaturierungen bis zu 700 Dämme sein wie im Tannermoor. Das ist nicht kostengünstig, aber langfristig gesehen eine Investition in die Zukunft und es gibt schon verschiedene Investitionsmodelle, die die Renaturierung eines Moors finanzieren.
Weil man sich damit eine gewisse Temperaturerhöhung ersparen kann oder Moore als lokale Wasserspeicher dienen. Sie können unglaubliche Wasserspeicher sein, das Wasser verdunstet und fällt lokal als Niederschlag wieder herab und damit gibt es in der näheren Umgebung mehr Niederschlag. Das wäre vor allem in Gegenden, wo es bereits jetzt immer weniger Niederschläge gibt wichtig, denn dort ist natürlich jeder Tropfen Regenwasser wichtig. Es braucht zwar finanzielle Investitionen, die sich aber vielfach rentieren – und das muss man natürlich den Menschen verständlich machen. Dass man da in etwas investiert, das in Wahrheit große Zinsen abwirft letzten Endes. Und in diese Richtung geht das Renaturierungsgesetz seitens der EU.
oekoreich: Viele Menschen wissen nicht, was sie unter dem Renaturierungsgesetz zu verstehen haben – wie es in der Praxis dann aussieht. Wie kann man den Mehrwert von Renaturierung vermitteln?
Das muss man, daher gibt es Leute wie Sie und mich, die versuchen, das in die Öffentlichkeit zu tragen. Leicht ist so etwas sicher nicht, aber andererseits müssen wir uns überlegen: wen betrifft es? Wir alle sind Nutznießer dieses Gesetzes, die gesamte Bevölkerung. Und es geht hier wirklich nur um die bestehenden Moore, nicht um landwirtschaftliche Flächen auf Torfböden, zumindest nicht in nächster Zeit, die stehen noch nicht zur Diskussion. Mehrheitlich geht es um Moore, die mehr oder weniger drainagiert sind. Das heißt: es beträfe vielleicht größere Waldbesitzer:innen, aber sicherlich keinen kleineren Bauern, der Landwirtschaft betreibt.
Man muss es den Menschen einfach klar machen und darf nicht das große Gespenst Naturschutz an die Wand malen, nach dem Motto: die wollen irgendetwas Existenzbedrohliches von mir oder mich gar enteignen. Es geht in erster Linie in Österreich um Flächen, die momentan von niemandem richtig genutzt werden oder ab und zu Weidevieh darauf steht und dabei nicht glücklich ist. Ich denke mir wichtig ist die Bedeutung dieser Geschichte auf richtige Art und Weise zu transportieren und nicht parteipolitischen Scheuklappen aufzusetzen und zu sagen „das ist schlecht“!
oekoreich: Wie steht es im Allgemeinen um Feuchtgebiete in Österreich?
Das meiste ist gänzlich verloren und von den genannten restlichen 10% sind neun Zehntel geschädigt. Die Renaturierung, die jetzt anzusetzen wäre, würde sich auf die genannten neun Zehntel beschränken.
oekoreich: Wäre es bei dem Großteil der verlorenen Moore möglich, genügend Zeit & Ressourcen vorausgesetzt, diese wieder intakt zu bekommen?
Bei den „verlorenen“ 90%, also Flächen die früher einmal Moor waren und heute unter land- und forstwirtschaftlichen Betrieben liegen, ist das nur in kleineren Bereichen möglich. Wenn ich zum Beispiel ans Ibmer Moor denke, wo es eine Menge landwirtschaftlicher Flächen über Torfböden gibt: dort wären regenerierende Maßnahmen möglicherweise machbar. Und da kommt noch dazu, am Beispiel dieses Moores: man könnte diese Flächen so weit unter Wasser setzen, dass man wieder eine gewinnbringende Form der Landwirtschaft betreiben kann, zum Beispiel Paludikultur. Das wäre aber nur auf einem Teil dieser ehemaligen Moorflächenmöglich. Bei den restlichen, noch existierenden 9% geschädigter Moore, geht eine Renaturierung überwiegend schon. Nochmal auf eine vorherige Frage zurückgehend: Man muss den Bauern hier die Angst einfach nehmen.
oekoreich: Sehen Sie eine Gefahr oder einen Vorteil in der Renaturierung?
Gefahr besteht überhaupt keine, ich sehe hier nur Vorteile und davon eine ganze Menge. Vor allem in Bezug auf das Klima, in Bezug auf den Erhalt der Artenvielfalt. Es gibt keine Gefahren, und wie gesagt: die Menschen, die es betreffen würde, würden auch wie bisher entschädigt werden. Es ist nicht so, dass hier etwas gemacht wird und dann wachsen zum Beispiel die Bäume schlecht und so weiter, es gibt so viele Entschädigungsmodelle.
Und eines möchte ich noch vorbringen, dass es auch heute schon mehrere Maßnahmen und Möglichkeiten zur Verbesserung der Ökosysteme gäbe, die aber einfach nicht genutzt werden. Mit dem neuen Renaturierungsgesetz wird es daher umso wichtiger sein, das auch umzusetzen. Nicht, dass es einfach nur die Möglichkeit gibt, sondern dass es auch wirklich umgesetzt wird. Das ist für viele Land- und Forstwirte kein Lieblingsthema, aber wir haben beispielsweise diese Natura2000-Gebiete, wo es bislang schon ein Verschlechterungsverbot geben sollte und trotzdem werden dort Maßnahmen und Taten gesetzt, die den Mooren nicht guttun. Was es wirklich braucht, ist nicht nur ein Gesetz erlassen, sondern die tatsächliche Umsetzung. Ich hoffe, dass es nicht zu spät sein wird.
oekoreich: Welche weiteren Schritte wären Ihrer Meinung nach notwendig, abgesehen von der Renaturisierung der Moore?
Im Moment haben wir zwei Hauptprobleme. Auf der einen Seite den Klimawandel, das andere ist der Verlust der Artenvielfalt – und oftmals wird das eine gegen das andere ausgespielt. Zum Beispiel Windräder, die in einen Halbtrockenrasen gesetzt werden, die ein Refugium für Artenvielfalt sind. Hier muss man wirklich sehr aufpassen, beide nicht gegeneinander auszuspielen. Ich glaube, der Verlust der Artenvielfalt ist eine Keule, die wir zwar nicht sehen - den Klimawandel spüre ich ja - aber der uns mächtig auf den Kopf fallen wird.
oekoreich: Nehmen wir an, Sie bekommen einen Blankoscheck für eine klimapolitische Maßnahme. Was würden Sie am liebsten umsetzen?
Ehrlicherweise ist das schwierig zu beantworten. Hm, zum Beispiel eine massive Eindämmung des Verkehrs in allen Richtungen und alle damit zusammenhängende Maßnahmen. Stärkere Regionalisierung, damit man diese Transportwege zu Luft, zu Wasser oder auf der Straße nicht mehr braucht. Es braucht ebenso eine strukturelle Umgestaltung, dass Menschen nicht mehr über unzählige Kilometer pendeln müssen und so weiter.
Und dann als Biologe und Moorforscher muss ich natürlich sagen, dass der uneingeschränkte Schutz und die tatsächliche, rasche Renaturierung dieser Kohlenstoff speichernden Lebensräume wichtig sind. Natürlich auch global gesehen, vor allem im Hinblick auf die riesigen Moore in Südostasien und Zentralafrika. Die Moore Zentralafrikas sind erst seit einige Jahren bekannt und gehören zu den größten Moore weltweit. Dort sitzen aber jetzt bereits die großen Unternehmen mit ihren Palmölplantangen in den Startlöchern… das sind Dinge, die global gesehen natürlich ein Wahnsinn sind!
oekoreich: Vielen Dank!
Mehr Infos zu einem spannenden Projekt im Waldviertel finden sich hier: hochmoor.at
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