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Reportage

„Verwüstete Landschaften“: Wie es um die Wälder in Europa wirklich steht

Sie gehören zu den wichtigsten Stimmen im europäischen Umweltschutz und warnen jetzt vor dem Zusammenbruch der Wälder. Pierre Ibisch, Gabriel Paun und Matthias Schickhofer waren auf Einladung der Stiftung COMÚN in Wien.

6/21/2024
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„Verwüstete Landschaften“: Wie es um die Wälder in Europa wirklich steht

Die Wälder Europas stehen unter Druck, das stellt heute keine fachkundige Person noch in Frage. Immer höhere Temperaturen, fehlender Niederschlag und einzelne Akteure in der Holzwirtschaft, die auch vor illegalen Methoden nicht zurückschrecken, haben ihren Anteil daran, dass ein wichtiger Bereich des Klima- und Naturschutzes weiter gefährdet wird. Wie sieht es in Deutschland, Österreich und Rumänien aus? Was kann man gegen die fatale Entwicklung unternehmen und wie ginge es anders? Genau darüber haben drei der bekanntesten und wichtigsten Stimmen in dem Bereich auf Einladung der Stiftung COMÚN vor kurzem in Wien gesprochen.

Den Anfang nahm Matthias Schickhofer, bekannter Buchautor und Naturschützer. Sein Blick richtete sich auf die rechtliche Lage sowie dem Greenwashing, das oftmals betrieben wird. Zuerst die Schilderung der Lage: die Wälder Europas sind in einem schlimmen Zustand und es scheint bislang keine Anzeichen zu geben, dass sich das ändert. Vor allem die intensive Nutzung der Wälder durch Kahlschläge und Monokulturen sowie fehlender naturnaher Aufforstung würden nun auf die Folgen des Klimawandels treffen. Massenweise brechen Baumbestände, zumeist Nadelbäume, gänzlich zusammen aufgrund zunehmender Hitze, stärkeren Stürmen und Käferplagen.

Nur 3 Prozent gelten als Urwald

Zugleich nehmen die abgeholzten und kahlen Waldflächen in Europa massiv zu und sorgen auch damit für weitere Gefahren. Ganz gleich, ob in den skandinavischen Staaten, Deutschland, dem Baltikum oder in Rumänien – überall werden Wälder aufgrund des Einschlags oder Folgen des Klimas löchrig und damit weiter anfällig. Ungefähr 75 Prozent aller Waldflächen in Europa weisen ein ähnliches Alter auf, was sich auf Aufforstung nach Kahlschlägen zurückführen lässt. Gleichzeitig sind in den Natura-2000–Schutzgebieten der Europäischen Union nur die Hälfte der Wälder in einem guten Zustand – nur mehr 3 Prozent aller Flächen gelten als Ur- bzw. Naturwald.

Besonders auch in Österreich zeigen sich die Folgen des Klimawandels stark, wofür Schickhofer mehrere Beispiele nannte. Insbesondere im Waldviertel, in Osttirol und Kärnten sind die Fichtenwälder übermäßig bedroht, was sich im Gebirge negativ auswirkt - ganze Hänge und Täler seien gefährdet, wenn die Schutzwälder verschwinden. Ebenso sei ein Blick auf das „Schadholz“ wichtig, das reihenweise in die Biomasseverbrennung gehe. Viele in diesem Bereich argumentieren damit, dass die Verheizung von Biomasse ja „klimafreundlich“ sei, was aber nicht wahr sei.

Greenwashing löst keine Probleme

Die Verbrennung von Holz sei weder CO2-neutral noch in irgendeiner Art und Weise klimafreundlich, so Schickhofer. Stattdessen sei hier Greenwashing im Spiel, um den Status Quo weiter zu erhalten – was aber auf Dauer keine Lösung sein kann und darf. Naturnahe Wälder wären gute Kohlenstoffspeicher, die im Kampf gegen den Klimawandel notwendig seien. Zugleich wären sie für die Natur wichtige Flächen und Gebiete, die sowohl zur Artenvielfalt als auch der Landschaftspflege dienen würden.

Leider gäbe es für Österreich im Moment keine Inventur der Naturwälder, nur 2,5 Prozent in Niederösterreich wären noch als „naturnahe Wälder“ einzustufen. Denn diese Natura-2000-Wälder werden in kleinen Schritten immer weiter gefällt, etwa im Ysper- und Kamptal. Seit 1998 habe es in diesen Gegenden keine Naturverträglichkeitsprüfung mehr gegeben. Ebenso schlecht sei die rechtliche Lage auf europäischer Ebene, auf die Schickhofer verweist. So wird die EU-Entwaldungsrichtlinie (EUDR) und das fertig verhandelte Natur-Wiederherstellungsgesetz immer wieder von verschiedenen Interessengruppen und Nationen stark angegriffen. In diesen Kampagnen wird oftmals mit Lügen und Falschbehauptungen gearbeitet, ein Stichwort vor allem von Lobbyverbänden bleibt die „überbordende“ Bürokratie. Ziel seien neue Gesetze oder spezielle Ausnahmen, die ganze Lücken in die bestehenden Gesetze reißen würden und diese in Folge zahnlos machen würden.

Schickhofer: „Beklemmende Realitätsverweigerung“

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie die Gesetze ausgestaltet sind. Während bei der Entwaldungsrichtlinie der Kahlschlag außerhalb der EU diese scharf als Entwaldung angesehen werde, würde es in den Mitgliedsstaaten gänzlich anders aussehen. Geschönte CO2-Statistiken und löchrige Gesetze seien aber keine Lösungen für die Probleme, ganz im Gegenteil. Klimaschützer:innen als Feinde anzusehen und in Folge eine jede Maßnahme zum Schutz der Wälder fundamental abzulehnen würde die Situation nicht nur verschärfen, sondern zerstören.

Leider sind wir mit einer beklemmenden Realitätsverweigerung und ideologisch aufgeladener Polarisierung konfrontiert – trotz eskalierender Klima- und Naturkrise“ fasst Schickhofer die Gesamtlage zusammen. Daher wären sowohl eine fachliche Betrachtung der Lage als auch ein kühler Kopf jetzt von höchster Notwendigkeit. Es brauche nicht nur eine naturnahe und schonende Forstwirtschaft, sondern weitaus mehr Mischwälder statt Monokulturen – Kahlflächen wären der größte Schaden an unserer Natur.

Pierre Ibisch: „Zurück bleiben verwüstete Landschaften“

Anhängend an Schickhofers Betrachtungen folgte Prof. Pierre Ibisch, der an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (Deutschland) tätig ist, mit einer Analyse der Waldbestände in Deutschland. Dort seien seit 2018 mehr als 600.000 Hektar Wald verloren gegangen, entweder durch Folgen der Klimakrise oder wegen falscher Bewirtschaftung mit reiner Nadelbaumpflanzung. Alleine durch dieses Sterben wurden die deutschen Wälder in den letzten fünf bis sechs Jahren von einem CO2-Speicher zu einer gewaltigen Emissionsquelle. Besonders würde das in Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt auffallen, wo zwischen 2000 bis 2000 jeweils an die zehn Prozent des durch die Wälder gespeicherten Kohlenstoffs verloren gegangen sind. Dies steht im Widerspruch zu etlichen Aussagen aus Politik und den Interessensgruppen der Forstwirtschaft.

Die meisten der jüngst entstandenen Waldschäden sind auf Hitze und Dürre als Ursachen zurückzuführen, die immer schneller und stärker werden. Mehrere Prognosen lassen darauf deuten, dass sehr heiße Jahre wie 2018 weitaus öfter auftreten könnten. So wäre dies bei Erreichen der 1,5 Grad-Marke schätzungsweise alle zwei bis drei Jahre der Fall; bei Erreichen der 2 Grad-Marke so gut wie jedes Jahr. Insgesamt werden dadurch immer mehr und enormere Stresssituationen für die Wälder entstehen und selbige bedrohen. Dabei wäre vor allem die Bewirtschaftung der Wälder wichtig, denn neben der allgemeinen Hitze sind Kahlflächen eine weitere Gefährdung. Kahle Waldflächen sind an heißen Tagen bis zu 15 Grad wärmer als der Wald und erhitzt so die lokale Umwelt. Die Bekämpfung des Borkenkäfers sei ein weiterer Punkt, der nicht angesprochen wird. „In Deutschland, Region nach Region, lässt sich seit einigen Jahren gut studieren, dass der Borkenkäfer erst unter Kontrolle ist, wenn der letzte Baum gefällt wurde. Zurück bleiben allerdings verwüstete Landschaften, die Treibhausgase emittieren, statt sie zu speichern und festzulegen“ so Ibisch.

Wertvolle Lebensräume im Wald werden zerstört

Mithilfe von Satellitenbildern ist es möglich, den Zustand der Wälder genauer zu betrachten und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Insgesamt werden die Wälder Europas immer weniger lebendig, sie nehmen sowohl an Biomasse als auch an Dichte ab. Beispielsweise schrumpfte der Wald in Großbritannien um schätzungsweise 12 Prozent, in Schweden um sechs und in Estland um fünf Prozent in den letzten 22 Jahren. In Österreich konnten die Wälder in diesem Zeitraum stabil bleiben, obgleich das kein zukünftiger Trend sein wird. Trotz des kranken Zustandes wurden im Jahr 2023 sind 45 Prozent der Baumfällungen in Deutschland für die Industrie durchgeführt. Ibisch fasst das Problem zusammen: „Je mehr Holz geerntet wird, desto mehr werden im Wald Böden verdichtet und wertvolle Lebensräume zerstört.“ Dadurch sind sowohl bestehende Wälder als auch Wiederaufforstungen bedroht.

Notwendig seien widerstandfähige Wälder, denn nur diese können sowohl den Kohlenstoff binden als auch die Böden und die Landschaft schützen. Die Forstkrise in Deutschland sollte daher eine Lehre ein, da dort das Risiko gering eingeschätzt wurde. Während 2015 noch von einer guten Lage der Wälder zu lesen war, drehte sich dies 2018 bzw. 2019 rasch um und verfiel dann in Panik. Naturnahe Wälder sind die Lösung des Problems, nicht neue Baumarten (auch als „Wunderbäume“ tituliert) oder Neuaufforstungen mit Monokulturen. Einzig ein naturnaher Wald wäre stark und anpassungsfähig genug für das, was noch kommt. „Deshalb muss der Wald deutlich schonender behandelt werden, als man das augenblicklich tut“ so Ibisch zum Schluss seiner Analyse.

 Von der Unfähigkeit der Europäischen Union

Aus einer weiteren Perspektive erzählte Gabriel Paun, der mit seiner NGO Agent Green in Rumänien gegen die dortige Forstwirtschaft operiert. Bekannt wurde Paun durch das öffentlich machen von Skandalen sowie dem Raubbau an den Urwäldern Rumäniens. Im Land befinden sich große Natur- und Urwaldflächen, die größten in der EU nach den skandinavischen Staaten. Diese werden aber von legaler und illegaler Abholzung massiv bedroht, obgleich diese Wälder aus mehreren Gründen schützenswert sind. Motor dieser Entwicklung sind die zahlreichen industriellen Interessen in Rumänien, die am Status Quo um jeden Preis festhalten wollen.

Das bringt Rumänien ins Blickfeld der Europäischen Union und sozusagen zum Test, wie EU-Verordnungen eingehalten und umgesetzt werden. Sowohl Scheinargumente und Nutzungsinteressen treffen hier auf die Unfähigkeit des europäischen Systems. Weiterhin agiert Rumänien im Verstoß mehrerer Richtlinien, werden Greenwashing, Falschbehauptungen und illegale Methoden weiterhin genutzt. Als Beispiel für die Unfähigkeit der Europäischen Union nennt Paun ein Verfahren wegen Vertragsverletzung gegen Rumänien, das seit 2020 bei der Europäischen Kommission liegt. Grund für das Verfahren sind illegale Abholzungen in Natura-2000 – Schutzgebieten, wo ohne Prüfungen abgeholzt wird. Das Verfahren steht aber, seit dessen Einbringung ist nichts passiert. Stattdessen geht es ohne Halt weiter.

Illegaler Einschlag von Wald ist in Rumänien leider häufiger geworden. So berichtet Paun, dass er selbst mehrmals bedroht wurde und die Strukturen zum Teil mafiös sind. Bei Beobachtungen von illegalen Aktivitäten wurde er mehrmals geschlagen oder von den „Holzmafia“ verjagt, teilweise mit Hilfe der lokalen Polizei. Genauer beleuchteten Agent Green und der Bruno-Manser-Fonds das Verhalten von IKEA in Rumänien und haben daraus einen Bericht gefertigt. IKEA ist der größte private Waldbesitzer im Land mit einer Fläche von 51.000 Hektar, die intensiv bewirtschaftet wird. „IKEA behandelt die Wälder wie landwirtschaftliche Plantagen, missachtet EU-gesetzliche sowie nationale Bestimmungen – und hält sich nicht einmal an die eigenen PR-Versprechungen. IKEA macht keinen Unterschied zwischen Schutzgebieten und Produktionswäldern“ so Paun. In Schutzgebieten werden Bäume mit System gefällt, dabei kommt es weder zu Verträglichkeitsprüfungen noch zur Einhaltung von FSC-Standards und entsprechenden Maßnahmen.

Zahlreiche Verstöße von IKEA dokumentiert

So wäre das Gegenteil der Fall, selbst in Laubwäldern kommt es zu Kahlschlag. Interessant ist, dass FSC als Zertifizierer und Kontrolleur nicht einzuschreiten scheint, was Paun auf eigene finanzielle Interessen zurückführt. Besonders alte und naturnahe Bestände werden der Fällung preisgegeben, da diese begehrt sind. Zugleich werden damit Flora und Fauna gefährdet. Beispielsweise werden Tiere wie Bären, Luchse, Wölfe und Vögel heimatlos und dadurch bedroht. In Folge werden ganze Lebensräume ohne Rücksicht irreparabel zerstört und IKEA hält sich gleichzeitig nicht an die eigenen, hochgesteckten Ziele.

Im Zuge des Berichts wurden die Hälfte der 43 rumänischen Wälder im Besitz von IKEA und der dort stattfindende Einschlag näher untersucht. Insgesamt konnten an die 50 Verstöße in neun (sieben von einer IKEA-Tochterfirma verwalteten und zwei weiteren) Wäldern gegen nationales und europäisches Recht festgestellt werden. Die Verstöße reichen von Kahlschlag über tiefe Fahrspuren für Fahrzeuge bis hin zu fehlenden Naturverträglichkeitsprüfungen in Natura-2000 Gebieten. Viele der Flächen überschneiden sich mit Schutzgebieten, die zum Teil als Urwälder gelten aber trotzdem aggressiv bewirtschaftet werden. Nur ein Prozent aller Wälder im Besitz der IKEA-Tochterfirma Ingka stehen unter strengem Schutz, was die Holznutzung ausschließt, 8,2 Prozent unter teilweisem Schutz.

Diese Zahlen sind weit davon entfernt, der EU-Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt zu entsprechen. Diese würde allein für die Mitgliedsstaaten den partiellen Schutz von 30 Prozent und den strikten Schutz von zehn Prozent aller Flächen vorschreiben. Einen Anteil an der Schuld trägt IKEA mit, schätzungsweise neun Prozent beim strengen Schutz und 11,8 Prozent beim teilweisen Schutz von Flächen. Scharf kritisiert Paun die Methode von IKEA, nämlich die „fast furniture“. Anstatt langlebige und solide Möbel zu bauen, wird jedes Jahr ein neuer Katalog herausgebracht, „Holzmöbel sind aber keine Mode“ meinte Paun dazu. Weder IKEA noch die Tochterfirma Ingka gingen auf einen gewünschten Dialog ein und fordern mehr und vor allem deutliche Maßnahmen ein.

Der „Stiftungswald“: Zeigen, dass es anders geht

Den Abschluss des Gesprächs bildete die Vorsitzende der Stiftung Común, Veronika Bohrn Mena. Die Stiftung setze sich nicht nur für Projekte mit Bezug zu Wald und Holz ein, sondern besitzt seit einiger Zeit einen eigens bewirtschafteten Wald. So kritisierte die Stiftung mit ihrer eigenen Arbeit sowohl nationale Unternehmen wie KRONOSPAN als auch internationale wie IKEA. Beide stehen sinnbildlich für den Raubbau der Wälder Europas zum eigenen Profit. Dabei bedienen sie sich intransparenter Konstrukte von Tochterfirmen, die damit auch noch steuerliche Vorteile ausnutzen.

Der Umgang mit unseren Wäldern muss sich deutlich wandeln, das stellt inzwischen zum Glück niemand mehr in Abrede. Das ist eine soziale wie ökologische Frage, vor allem aber ach immer mehr eine der Generationengerechtigkeit“ so Bohrn Mena zur Lage. Monokulturen seien kein Weg mehr, davon abzurücken und neue Pfade zu beschreiten mehr als notwendig. Das beträfe nicht nur die heimischen Wälder, sondern auch Holzimporte aus dem Ausland zur Verarbeitung in der Industrie. Transparente Lieferketten, entsprechende Strafen bei Fehlverhalten und Standards zum Schutz der Umwelt seien daher mehr denn je nötig. Einerseits müssen wir den Umgang mit den Wäldern verändern, andererseits die Missstände von Unternehmen weiterhin sorgsam aufdecken.

Um zu zeigen, wie es anders gehen kann, hat die Stiftung COMÚN das Projekt „Stiftungswald“ gestartet, um Lösungen anzubieten. So soll für Kleinstwaldbesitzer ein Modell vorgestellt werden, das mithilfe baulicher und ökologischer Maßnahmen der aggressiven Nutzung von Wäldern entgegentritt. Zugleich soll das Bewusstsein bei Menschen und Gesellschaft gesteigert werden als auch eine Alternative präsentiert werden zum Status Quo. In Zusammenarbeit mit Expert:innen soll das Projekt eine Vorbildwirkung entfalten und den Handlungsbedarf in Österreich deutlich hervorheben.


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