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Reportage

Turbokühe & Genfutter: Wie uns Handelskonzerne die Importmilch ins Regal legen

1.000 Kilometer weit reisen Milchprodukte, die bei uns im Supermarkt liegen. Ein Insider gewährt jetzt exklusiv Einblick in das Milchsystem.

5/7/2023
  • Landwirtschaft
  • Konsumentenschutz
  • Österreich
  • Ernährung
Turbokühe & Genfutter: Wie uns Handelskonzerne die Importmilch ins Regal legen

Mal tanzen sie lachend im bunten Sommerkleid über die Blumenwiese, mal plauschen sie nach einer Wanderung spontan mit Bauern auf der Alm. Die Stars und Sternchen der heimischen Kulturszene treten gerne für die großen Handelskonzerne auf, ihre Beliebtheit beim Publikum soll für das Image der Supermärkte genutzt werden. Fast immer geht’s beim Einsatz der Promis um die Bewerbung von Produkten aus Österreich. Und um viel Geld.

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Werbung für Milch: Schöne Bilder fernab der Realität
Ob Sängerin, Schauspielerin oder sprechendes Ferkel, am Ende soll eine Botschaft im Zentrum stehen: Hier, bei diesem Supermarkt, gibt’s heimische Spezialitäten! Wenn man sich die Werbefilme von SPAR, BILLA & Co so ansieht, dann könnte man meinen, dass sie sogar ausschließlich heimische Produkte im Regal liegen haben und dass sie natürlich auch überdurchschnittliche Preise an ihre Lieferanten und die Bäuerinnen und Bauern zahlen.

Import-Milch: Zarte Farben, ländliches Idyll

Schließlich sind ihnen sowohl der Schutz der Natur als auch der Erhalt der kleinbäuerlichen Landwirtschaft ein großes Anliegen – behaupten sie zumindest gerne in der Öffentlichkeit. Sie inszenieren sich sogar als Bewahrer der ländlichen Kultur. Die traurige Wahrheit sieht ganz anders aus, wie ein aktuelles Beispiel aus dem Kühlregal einer großen Supermarkt-Kette zeigt. Dort finden sich nämlich jetzt massenhaft importierte Milchprodukte.
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1.000 Kilometer weit gereist
Auf den ersten Blick würde man sie nicht als solche erkennen, immerhin lautet der Markenname des Produkts „Zum Dorfkrug“. Das in zarten Farben gehaltene Etikett ziert ein idyllischer Bauernhof. Wer würde da auf die Idee kommen, dass die Milch in dem Glas aus über 1.000 Kilometern Entfernung und von gigantischen Tierfabriken stammt? Wohl niemand. Und genau das steckt wohl auch hinter der Aufmachung.

Die pure Massentierhaltung im hohen Norden

Die Gemeinde heißt Neu Wulmstorf, in der die „Zum Dorfkrug Produktions- und Handelsgesellschaft“ ihren Sitz hat. Deren Eigentümer exportiert nicht nur Milchprodukte nach Österreich, sondern ist auch in Deutschland groß im Geschäft – mit Salatfrische etwa. Millionen Flaschen davon werden jährlich in Deutschland verkauft, ihre Bewerbung von Verbraucherschützern als „irreführend“ angeprangert. Aber das ist eine andere Geschichte.

Neu Wulmstorf jedenfalls liegt in direkter Nachbarschaft zu Hamburg. Im hohen Norden Deutschlands, da schaut die Welt in der Landwirtschaft ganz anders aus als in Österreich. Und auch als in Süddeutschland. Im Norden und Osten Deutschlands dominiert die pure Massentierhaltung. In den letzten Jahren haben sich die Betriebsgrößen dort immens gesteigert, damit wurde unter anderem auch die deutsche Gülleproblematik verursacht.
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Die Realität: Turbokühe aus dem hohen Norden Deutschlands
Die „Turbokuh“ als Grundlage des Geschäftsmodells

Für den Bereich der Milchproduktion, um den es bei diesem Beispiel geht, bedeutet das konkret, dass die Tiere sogenannte „Turbokühe“ sein müssen. Mit Milchleistungen jenseits der 10.000 Liter pro Jahr. Dass das an den Tieren nicht spurlos vorbei geht und auch die Umwelt extrem belastet, das versteht sich hoffentlich von selbst. Zum Vergleich: In Österreich liegt die Milchleistung pro Kuh im Schnitt bei rund 6.500 Litern.

Um solche Leistungen zu erbringen, braucht es nicht nur entsprechende Züchtungen, sondern auch ein ganz anderes Futter. Das basiert vielfach in Deutschland auf Import-Soja aus Übersee, genmanipuliert und mit hohem Pestizideinsatz angebaut. In Österreich gibt es das übrigens nicht mehr. Und auch die Betriebsgrößen sind ganz andere als bei uns. Hunderte Tiere in einem Betrieb, das ist im hohen Norden Deutschlands der Standard. Bei uns hat der durchschnittliche Milchbetrieb gerade einmal 23 Kühe.

Die Doppelzüngigkeit der Handelskonzerne

Dazu kommt, dass Österreich eine absolute Milchnation ist. Einen Selbstversorgungsgrad von bis zu 170 Prozent weist die heimische Milchbranche auf, also weit mehr als genug um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Wenn also die Tierhaltung eine schlechtere für die Tiere, für die Umwelt und damit auch für das Klima ist, und wenn genügend Milch in Österreich vorhanden ist – warum importiert man diese dann?
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Im Tankwagen durch halb Europa
Wir haben diese und andere Fragen einem hochrangigen Insider aus der Milchbranche gestellt. Diese Person möchte aus verständlichen Gründen anonym bleiben und als Medium werden wir die Identität natürlich auch schützen. Zunächst wollten wir wissen, wie die Person die offenkundige Doppelzüngigkeit der Handelskonzerne bewertet, in den Medien groß mit Regionalität zu werben, dann aber die Importware ins Regal zu legen.

Eine bessere Marge für die Händler

Bedenklich für heimische Produzenten und Verarbeiter, ist die Vorgangsweise des Handels, der sich gerne als Anwalt des Konsumenten geriert, vor allem die mitunter zu beobachtende Tatsache, dass medial die eine oder andere Umweltthematik publikumswirksam unterstützt und von den heimischen Lieferanten eingefordert wird, gleichzeitig bei Importen großzügig darüber hinweggesehen wird“ sagt der Insider aus der Milchbranche.

Das erinnert an die oekoreich-Kritik an den Inszenierungen des Handels im Zusammenspiel mit NGOs und anderen Akteuren, bei denen die Konzerne sich gerne als große Umweltschützer darstellen, dann aber erst recht den brennenden Regenwald ins Regal legen. Offenbar stört das nicht nur uns, sondern auch die Bäuerinnen und Bauern, die auf diese Weise natürlich in Konkurrenz gegen die Tierfabriken im Ausland gesetzt werden.

Das strategische Interesse des Handels

Zum konkreten Fall sagt der Insider: „Wenn nun z. B. ein Lebensmittelhändler Pudding über 1000 km ins Land bringt, obwohl es in Österreich dafür eine Reihe von Herstellern gibt, so ist dies oft nicht leicht erklärbar, allein es ist zulässig und wahrscheinlich verspricht sich der Händler eine bessere Marge, weil er bei einem großen internationalen Hersteller günstiger (oftmals im Zuge grenzüberschreitender Verflechtungen der Handelsketten) einkaufen kann.“
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Hauptsache austauschbar: Die Handelskonzerne setzen auf Flexibilität
Anbieter im Inland gebe es genügend, so der Insider, aber sie bräuchten entsprechende Abnahmeverträge. Dass die Supermarkt-Ketten daran kein Interesse haben, erklärt sich wohl auch damit: „Es gibt auch ein strategisches Interesse des Handels in der Beschaffung nach möglichst hoher Flexibilität, sei es durch die Forcierung von Eigenmarken mit austauschbaren Lieferanten versus Herstellermarken oder verstärkten Importen.“

Zu wenig Berichterstattung in klassischen Medien

Und womit erklärt sich, dass es nicht einen großen medialen Aufschrei gibt, obwohl die Widersprüche zwischen Werbung und gelebter Praxis in den Regalen so groß sind? Der Insider: „Wir sehen leider immer mehr, dass viele Medien kein großes Interesse haben derartige Entwicklungen aufzuzeigen, viel lieber schalten sie lukrative Inserate.“ Das ist eine vernichtende Kritik an einigen klassischen Medien, wie sie zeitgemäßer nicht sein kann.

Aber es ist mit ein Grund, wieso wir oekoreich gegründet haben, als unabhängiges Medium, das sich der Berichterstattung über Tierwohl und Bauernwohl gleichermaßen widmet. Weil es nicht normal sein sollte, dass Milchprodukte aus riesigen Anlagen, tausende Kilometer weit entfernt, zu uns importiert werden, obwohl mehr als genügend Milch hier verfügbar ist. Nicht der Profit der Konzerne sollte im Mittelpunkt stehen, sondern das Wohl von uns allen.


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