Wer kennt das nicht? Unter unwürdigsten Bedingungen produziertes Fleisch, Milch oder Eier aus dem Ausland werden ins Regal gelegt, damit ein milliardenschwerer Handelskonzern noch mehr Profit machen kann – und am Ende heißt es, der Konsument wäre schuld daran. Aber niemand von uns hat die importierten Käfigeier aus Indien oder der Ukraine bestellt, die gut versteckt in verarbeiteten Produkten im Supermarktregal liegen.
Niemand von uns hat das in Aktion verschleuderte Hühnerfleisch aus Litauen bestellt oder das als „italienische Spezialität“ getarnte Rindfleisch aus Brasilien. Niemand von uns wünscht sich Palmöl aus Raubbau oder Lebensmittel, die in Kinderarbeit oder moderner Sklaverei entstanden sind. All diese eklatanten Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards werden von den Konzernen nicht auf die Packung geschrieben.
Es braucht vielleicht wirklich „Schockbilder“
Und so liegen Nudeln, Schokolade und Fleisch im Supermarktregal, für die Menschen misshandelt, Tiere gequält und Natur zerstört werden. Und wir erfahren nichts über ihre Herkunft und nichts über ihre Entstehungsgeschichte, denn sonst würden wir es ja nicht mehr kaufen. Wir bräuchten wohl tatsächlich verpflichtende „Schockbilder“ auf der Packung, die das zeigen, was wirklich in den Fabriken, in den Ställen und auf den Feldern abläuft.
Stattdessen dürfen die Produzenten und Profiteure des Elends mit Bildern werben, die nicht mal ansatzweise die Realität abbilden, sondern vielmehr eine Parallelwelt erschaffen. Sie wiegen uns in Sicherheit, dämpfen unsere Skepsis, verleiten uns zum Kauf. Und sie verschleiern nicht nur gezielt Informationen, sondern verdrehen diese so weit, bis alle gesetzlichen Rahmen ausgereizt sind – und manchmal sogar darüber hinaus.
Hunderte Millionen für Greenwashing
Die gleichen Konzerne werfen uns Konsument*innen bei Kritik gerne vor, dass wir ja gar nicht wissen wollen würden, woher die Lebensmittel wirklich stammen und wie sie erzeugt wurden. Aber wer soll es uns sagen? Die prekär beschäftigten Supermarkt-Angestellten? Wen können wir fragen? Es werden hunderte Millionen in Greenwashing-Aktivitäten gesteckt, damit ja niemand herausfindet, woher das angebotene Zeug wirklich stammt.
Und es gibt leider noch keine staatliche Stelle, die einen unabhängigen Check der Hintergründe der verkauften Lebensmittel vornimmt. Einen Check der sich nicht nur auf die Anzahl an Kalorien oder mögliche Allergene bezieht, sondern auch auf die Auswirkungen der Herstellung auf Menschenrechte sowie Umwelt und Klima. Eigentlich müsste genau das verpflichtend kontrolliert werden, damit wir guten Gewissens konsumieren können.
Der Handel als Verbündeter der Industriekonzerne
Bislang liegt die Macht bei den Produzenten und damit meistens bei jenen, die überhaupt kein Interesse daran haben, dass wir uns wirklich auskennen. Es sind Konzerne wie UNILEVER, NESTLE oder FERRERO, die uns mit großem Aufwand im Dunkeln halten und darauf bauen, dass ihre Verbündeten, die mächtigen Handelskonzerne, ihnen dabei helfen. Dabei könnte und sollte gerade der Handel auf unserer Seite stehen.
Macht er leider nicht, ganz im Gegenteil wird er immer stärker selbst zum Produzenten, denken wir nur etwa an den Boom der Eigenmarken. Wir haben weder die Zeit noch die Möglichkeit, um selbst zu überprüfen, wie der Kaffee in Äthiopien erzeugt wird, wie es den Schweinen im Stall geht oder ob Kinder auf Plantagen zur Arbeit gezwungen werden. Die milliardenschweren Handelskonzerne hätten die Möglichkeit.
Demokratisierung der Ernährung
Aber in Wahrheit sollten wir selbst diejenigen sein, die das überprüfen. Und zwar als Kollektiv, durch den Staat. Wir leisten uns hunderte Millionen an Parteiförderung jedes Jahr, lassen zu, dass Milliarden für Nonsens ausgegeben werden – aber das Geld dafür, dass die Herkunft und Entstehungsgeschichte der auf unserem Staatsgebiet im Verkauf befindlichen Lebensmittel zu erfassen und zu bewerten, das haben wir nicht?
Das ist eine politische Bankrotterklärung, keine technische Unmöglichkeit. Es ist demokratiepolitisch hochgradig bedenklich, wenn wir die Deutungshoheit den Konzernen überlassen und wenn wir die Kontrolle über die Einhaltung von grundlegenden sozialen und ökologischen Standards an dubiose Gütesiegel-Konstrukte auslagern. Es wird Zeit, dass wir uns das zurückholen, es wird Zeit für eine Demokratisierung der Ernährung.
Konsumdialoge: Den ersten Schritt gemeinsam setzen
Einen ersten Schritt setzen wir jetzt, indem wir den Dialog auf Augenhöhe öffnen. Mit den „Österreichischen Konsumdialogen“, organisiert von der Gemeinwohlstiftung COMÚN, bringen wir relevante Akteure zusammen – vor allem aber geben wir den Konsument*innen und Bürger*innen einen Tisch am Platz. Die organisierte Landwirtschaft, der Handel, die Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, sie alle sind mit dabei.
Aber am wichtigsten ist, dass die Konsument*innen selbst sich ermächtigen. Genau darum geht’s in Hallein, genau dafür wollen wir mit der Aussaat beginnen. Von 11. bis 13. Mai 2022 beginnt ein Weg, dessen Ende für uns weder absehbar noch planbar ist, aber von dem wir wissen, dass er es wert ist, beschritten zu werden. Sorgen wir dafür, dass wir eines Tages wirklich bestimmen, was, wie, wo und von wem produziert wird.
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