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Reportage

„Giftvertrag“: Das sind die Befürworter & Gegner von Mercosur in Österreich

Das Mercosur-Abkommen soll 2023 mit aller Macht durchgeboxt werden - Österreich könnte das verhindern. Wer ist bei uns für und wer gegen das Abkommen?

2/21/2023
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„Giftvertrag“: Das sind die Befürworter & Gegner von Mercosur in Österreich

Es soll die größte Freihandelszone der Welt werden, umfasst davon wären einerseits die Länder der Europäischen Union sowie andererseits Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Insgesamt über 750 Millionen Menschen auf den beiden Kontinenten würden auf einen Schlag von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum profitieren – so die Befürworter des Abkommens. Zölle würden reduziert und Handelshemmnisse abgebaut.

Es geht um hunderte Milliarden Euro an Warenströmen, die jährlich wechselseitig über den Atlantik gebracht werden. Seit 1999, also seit bald 24 Jahren, wird darüber verhandelt und eine Einigung ist weiterhin nicht in Sicht. Einer der Knackpunkte ist der verheerende Raubbau an den Naturschätzen des Regenwalds, wie er etwa von der faschistischen Regierung von Jair Bolsonaro in Brasilien in den letzten Jahren forciert wurde.

Menschenrechte und Umweltstandards

Um die Vernichtung des Regenwaldes nicht auch noch zu befeuern, wie das mit dem Mercosur-Abkommen wohl der Fall wäre, haben gewichtige Stimmen in Europa bislang gebremst. Doch nun kommt wieder neue Dynamik in die Verhandlungen, denn mit der Wiederwahl des linken Präsidenten Lula da Silva, der einen Stopp der Rodungen angekündigt hat, könnte eines der wichtigsten Gegenargument hinfällig sein.

Die Europäische Union drängt darauf Zusicherungen zu erhalten, dass die Entwaldung in der „grünen Lunge“ der Welt gestoppt wird. Auch die Einschränkung von Menschenrechten, etwa die illegale Landnahme oder die Vertreibung indigener Völker, sowie die Einhaltung internationaler Umweltstandards, werden von der EU als Grundbedingung genannt. Unmöglich, sagen dazu Expert*innen von NGOs – kein Problem, so die Mercosur-Länder.

Heimische Landwirtschaft in Gefahr

Ein anderer Knackpunkt sind die drohenden Auswirkungen auf die europäische Landwirtschaft, die sich unter anderem gegen Billig-Importe von Bio-Ethanol, Soja-Kraftfutter und Fleisch wehrt. Das Abkommen sieht eine deutliche Steigerung der Exportquoten für Fleisch aus den südamerikanischen Ländern vor, was einen wahren Turboeffekt für die ohnehin schon boomende Massentierhaltung in diesen Ländern hätte.

Damit würde unweigerlich auch die Zerstörung natürlicher Lebensräume einhergehen, um Platz für Kraftfutter und Weideflächen zu schaffen. Auch wenn immer wieder das Gegenteil beteuert wird, die Unmengen an Soja und Fleisch werden auf Flächen produziert, die zuvor den Regenwald beheimatet haben. Und jeden Tag fallen mehr Bäume, weil dieser Wirtschaftszweig zu den großen Motoren der brasilianischen Wirtschaft zählt.

Der verrückte Pestizid-Kreislauf

Während in Ländern der Europäischen Union für eine Einschränkung der Tierfabriken gekämpft wird, Spanien etwa kürzlich eine gesetzliche Beschränkung der Betriebsgrößen beschlossen und Deutschlands Agrarminister Cem Özdemir eine große Trendwende in der Landwirtschaft angekündigt haben, würde damit auf der anderen Seite der Welt das Gegenteil unterstützt werden. Ein Paradoxon, das nicht logisch erklärbar ist.

Außer natürlich mit dem Profit einiger weniger Akteure auf beiden Seiten. Denn in Brasilien ist etwa der JBS-Konzern als weltgrößter Fleischproduzent ein gewichtiger politischer Player und in Deutschland machen die mächtigen Konzerne aus der Pestizid- und Autoindustrie viel Druck auf die Politik, damit das Abkommen doch noch beschlossen wird. In Brasilien hat man sogar Korruption nachgewiesen, die Konzerne erkaufen sich also die gewünschte Politik.

Denn umgekehrt würde das Abkommen die Lieferung von Pestiziden steigern, die in der Europäischen Union bereits verboten sind, aber dennoch massenhaft von europäischen Konzernen nach Südamerika verkauft werden. Da geht es um Chemikalien, die in der Erzeugung von Rohstoffen und Lebensmitteln eingesetzt werden – welche dann wiederum über Umwege auf unseren Tellern landen. Ein verrückter Kreislauf also.

Gewinner: Konzerne

Und es geht um Autos. Während die EU vollmundig ein Ende der Verbrennungsmotoren in den nächsten Jahren angekündigt hat, soll der riesige südamerikanische Absatzmarkt für europäische Autos nicht geschmälert werden. Auch hier: Was in Europa verboten wird, soll gewinnbringend ins Ausland verkauft werden. Gewinnen würden dabei nur die Konzerne, den Schaden hätten die Menschen und nachfolgende Generationen.

Doch wer ist jetzt in Österreich eigentlich für das Mercosur-Abkommen und wer bekämpft es? Die Fronten sind eigentlich seit Jahren recht deutlich und haben sich auch nicht groß verschoben. Und auch wenn die eine Seite deutlich kleiner ist, so repräsentiert sie doch unglaublich viel Macht und Geld. Kein Wunder, dass sie es schafft, im öffentlichen Diskurs so stark wahrgenommen zu werden, obwohl sie kaum Menschen vertritt.

Das sind die Mercosur-Befürworter

Auf der Pro-Mercosur-Seite findet sich zunächst einmal die Industriellenvereinigung, der private Zusammenschluss der wichtigsten Industriekonzerne in Österreich. Vizepräsident ist etwa F. Peter Mitterbauer, Chef des Konzerns MIBA, einem milliardenschweren Automobil-Zulieferer. Ein anderer Vizepräsident ist Philipp von Lattorff, Geschäftsführer des 20 Milliarden Euro schweren Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim.

Die Industriellenvereinigung machte erst vor kurzem wieder klar, dass sie sich einen Abschluss des Abkommens wünsche: „Die Chancen liegen zum Greifen nahe – packen wir sie nicht an, tut es jemand anderer. Wer heute immer nur „Nein“ schreit, darf sich morgen nicht wundern, wenn Europa weiter an Bedeutung und internationalem Anschluss verliert.“ Das meint jedenfalls der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill.

Exportorientierte Konzerne profitieren

Ebenfalls zu den Befürwortern gehört die Wirtschaftskammer Österreich, sie ist die gesetzlich verankerte Interessenvertretung aller Unternehmen im Land. Alle Betriebe müssen dort Mitglied sein und einen finanziellen Beitrag leisten, in der Vergangenheit haben sich aber insbesondere die Ein-Personen-Unternehmen und Kleinunternehmen, die 99 Prozent der Wirtschaft ausmachen, nicht immer gut vertreten gefühlt.

Vom Mercosur-Abkommen würden sie wohl nicht so profitieren wie die großen Exporteure: „Für die rund 1.400 österreichische Exportfirmen und ihre Beschäftigten brächte das Abkommen durch einen Abbau der Zölle, Vereinfachungen bei Produktzertifizierungen und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungsmarktes sowie des Dienstleistungsmarktes der Mercosur-Länder jedenfalls einen handfesten Wettbewerbsvorteil“, so die WKO.

Pinker Neoliberalismus

Neben den klassischerweise der ÖVP nahestehenden Bollwerken Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer, hat sich in den letzten Jahren ein weiterer politischer Akteur auf die Seite der Mercosur-Befürworter gestellt: Die NEOS. Die pinke Partei ist ein radikaler Freihandels-Propagandist, von der Jugendorganisation bis zum Parlamentsklub gibt es einen breiten Schulterschluss für die Aufhebung der Schranken im globalen Handel.

Sie sprechen von „Anti-Freihandelspopulismus“ und lassen in einer aktuellen Aussendung verlauten: „Die schwarz-grüne Bundesregierung gefährdet mit ihrer Blockadehaltung unseren Wohlstand. Wir müssen jetzt eine Weltfreihandelszone der Demokratien schaffen.“ Und die pinke EU-Abgeordnete Claudia Gamon: „Die Blockadehaltung und Panikmache der ÖVP und der anderen Parteien bringen uns hier aber keinen Millimeter weiter.

Die Gegner des Abkommens

Auf der anderen Seite der Geschichte stehen alle anderen Fraktionen im österreichischen Nationalrat. So argumentiert die SPÖ insbesondere in Hinblick auf den Schutz der Rechte von Arbeitenden gegen das Mercosur-Abkommen, immerhin würde damit auch der europäische Standard unterlaufen. Die FPÖ wiederum schießt bereits seit Monaten aus vollen Rohren gegen das Abkommen und sieht vor allem die heimische Landwirtschaft in Gefahr.

Auch innerhalb der ÖVP zeichnen sich Bruchlinien ab, denn der mächtige Bauernbund hat sich ganz klar gegen das Abkommen positioniert. Zuletzt etwa über die EU-Abgeordnete Simone Schmiedtbauer: „Ein Abschluss unter den derzeitigen Bedingungen würde Landwirtschaft, Umwelt und Klima mehr schädigen als der EU-Landwirtschaft nützen. Rein ideologisch passt es nicht unter einen Hut, dass die EU der Rodung von Regenwald mit Handelserleichterungen entgegenkommt, während sich europäische Landwirte mit immer höheren Standards konfrontiert sehen.“

Regierung klar gegen Mercosur

Aber auch der neue Landwirtschaftsminister Österreichs, der ehemalige Bauernbund-Direktor Norbert Totschnig, hat seit Amtsantritt mehrfach seine klare Ablehnung zum Ausdruck gebracht, etwa zuletzt so: „Es ist nicht erklärbar, günstigen Rohrzucker und Rindfleisch von Großbetrieben aus Übersee mit schlechterer Klimabilanz zu importieren und so unsere bäuerlichen Familienbetriebe und die eigene Versorgung unter Druck zu bringen.“

Auch die kleineren Regierungspartner, die Grünen, sind vehement gegen das Mercosur-Abkommen und haben sich auf die Fahnen geschrieben, es gänzlich zu verhindern. So tönt es aus dem Parlamentsklub: „Der europäischen Autoindustrie soll der südamerikanische Automarkt für einige Jahrzehnte geöffnet werden, wenn in Europa keine Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden dürfen. Fossile Treibstoffe sollen also damit am Leben erhalten bleiben. Als Gegengeschäft bietet Europa Zugang für Soja und Rindfleisch, dafür wird der Amazonas-Regenwald niedergebrannt. Dieses Abkommen ist aber von Grund auf klimaschädlich, es ist nicht mit Behübschung zu reparieren. Die Versuche der Kommission reichen nicht, Österreich wird das Abkommen zu Fall bringen.“

Bleibt zu hoffen, dass die Regierung standhaft bleibt.


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