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Reportage

Tiroler Bauernpräsident: „Müssen bei Wolfsdebatte weg von extremen Positionen“

Der Wolf ist zurück in Österreich - und die Wogen gehen hoch. Hier die Wolfsbefürworter, dort die Gegner. Nun mahnt eine gewichtige Stimme zur Vernunft.

9/11/2022
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Tiroler Bauernpräsident: „Müssen bei Wolfsdebatte weg von extremen Positionen“

Nachdem er im 19. Jahrhundert in Mitteleuropa ausgerottet wurde, ist der Wolf nun endgültig zurück in Österreich. Und er dominiert nun auch immer öfter die mediale Berichterstattung. Wöchentlich gibt es inzwischen Berichte aus Tirol oder Kärnten, meist ist die Entscheidung für einen Abschuss von „Problemwölfen“ oder die erbitterte Widerstand dagegen durch Tierschützer der Grund dafür. In sozialen Netzwerken mehren sich aber zuletzt auch die Berichte von Landwirten, die Fotos von gerissenen Schafen veröffentlichen.

Doch nicht nur die Bäuerinnen und Bauern, die Aktivist*innen und die Landbevölkerung sind in die aufgeheizte Debatte involviert, gerade auch in Städten lebende Menschen nehmen Anteil am Schicksal der Tiere und den alltäglichen Herausforderungen der Bauern. Dabei wird mitunter der Eindruck erweckt, als würde sich durch Österreich regelrecht ein Graben ziehen – auf der einen Seite die bedingungslosen Wolfsgegner, dort die ebenso bedingungslosen Wolfsfreunde. Ein echter Dialog scheint derzeit nicht möglich zu sein.

Der Wolf und seine großen Auswirkungen

Einer, der sich jetzt genau dafür einsetzt, ist der Tiroler Bauernvertreter Josef Hechenberger. Im Tiroler Alpbachtal geboren ist er seit 15 Jahren Präsident der Landwirtschaftskammer Tirol und darüber hinaus auch Vorsitzender des Ausschusses für Milchwirtschaft in der Landwirtschaftskammer Österreich. In seinem Heimatwahlkreis scheint er überaus beliebt zu sein, immerhin sicherte ihm ein Rekordergebnis bei den Vorzugsstimmen im Jahr 2019 den Einzug in den Nationalrat, wo er sich leidenschaftlich für die Landwirtschaft einsetzt.

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Josef Hechenberger ist eine gewichtige politische Stimme in der Landwirtschaft
Auch ihn beschäftigte zuletzt immer stärker die Debatte um den Wolf, fühlen sich doch die Bergbauern in ganz Österreich in ihrer Existenz bedroht. Und damit ist ihrer Ansicht nach nicht nur die Erzeugung von heimischer Milch in Gefahr, sondern auch die Bewirtschaftung der Weiden und die Pflege der Natur. Der Wolf würde die Kulturlandschaft gefährden und für eine Tourismusnation wie Österreich könne das weitaus größere Auswirkungen haben, als auf den ersten Blick ersichtlich sein mag.

Die Kulturlandschaft ist in Gefahr
 
So sieht das auch Josef Hechenberger, mit dem wir über die aktuelle Situation gesprochen haben: „Die Almwirtschaft ist sinnstiftend für unsere Gesellschaft. Es ist ein Erholungsraum für die Tiere und ein wichtiger Erholungsort für uns Menschen. Denken wir etwa an die steigende Anzahl an Hitzetagen, da drängen die Menschen in die Alpen. Auch viele Einheimische verbringen ihre Freizeit gerne am Berg. Almen sind für die Bevölkerung wie für Touristen gleichermaßen von großer Bedeutung.“

Doch diese Kulturlandschaft ist jetzt in Gefahr und schuld daran sei der Wolf. Die Anzahl der Risse steige dramatisch an, für viele Schafbauern wird das existenzgefährdend. Der durchschnittliche Schafbauer sei im Nebenerwerb tätig, er mache das oft neben einem 40-Stunden-Job. Die Schafbauern bewirtschaften Flächen, die für die Milchwirtschaft nicht geeignet sind. Geben sie auf, würde sich das Gesicht des Landes verändern. Und genau daran denken jetzt immer mehr von ihnen, so Hechenberger.

Sorgen und Ängste bei Bauern nehmen zu

Erst vor kurzem habe er mit einem Schafbauern gesprochen, der ihm davon berichtet habe, wie sehr er darunter leidet, wenn er die schwerverletzten Tiere von ihrem Leid erlösen müsse: „Es geht ihnen dabei nicht um den finanziellen Verlust, es geht darum ihre Tiere zu schützen. Es gibt eine extreme Verunsicherung bei den Kleinbauern, wie das mit dem Wolf künftig weitergeht. Eine gewisse Hoffnungslosigkeit macht sich unter ihnen breit, sie haben Zukunftsängste. Und sie sorgen sich auch um das Landleben generell.“
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Leichte Wolfsbeute: Schafe auf einer Alm
Ein anderer Bauer, bei dem er kürzlich auf Besuch war, hat ihn für einen weiteren Aspekt sensibilisiert. Der Landwirt lebt im Sommer mit drei kleinen Kindern auf seiner Alm, von Juni bis September verbringen sie die Zeit komplett oben bei den Tieren. Angesichts der starken Zunahme an Rissen und Wolfssichtungen in seiner Nähe, würde er auch Angst um die Sicherheit seiner Kinder haben. Eine gewisse Unbeschwertheit würde verloren gehen, je näher der Wolf an die Lebensräume der Menschen heranrücke.

Von Extrempositionen, die es zu überwinden gilt

Dabei würden nicht nur die Menschen am Land und die unmittelbar Betroffenen an ihn herantreten, so Hechenberger. Immer öfter würden sich auch Menschen aus der Stadt an ihn wenden, die sich um den Fortbestand der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, insbesondere im Bereich der Bergbauern sorgen. Sie würden sich den Erhalt der Almwirtschaft wünschen und möchten auch in Zukunft den Kulturraum nutzen, den die Landwirte quasi nebenbei im Zuge ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit für sie miterhalten.

Bringen wir die aktuellen Extrempositionen auf den Punkt: Einige Wolfsbefürworter sind der Meinung, dass alles dem Wolf unterzuordnen sei. Und einige Wolfsgegner wiederum sind der Meinung, dass es einen komplett wolfsfreien Alpenraum braucht. Beide Ansichten sind für mich extrem. Es geht nicht darum, dass man eine Tiergattung ausrottet, wir haben bereits rund 20.000 Wölfe in Europa. Es geht darum, dass dort, wo nachweislich kein Herdenschutz effektiv möglich ist, eine gewisse Regulierung erfolgt“, so Hechenberger.

Der Mittelweg: Vorbild Schweden

Josef Hechenberger war kürzlich mit einer größeren Delegation zu Gast in Schweden, wo der Wolf in großer Zahl heimisch ist und es ein funktionierendes Miteinander gibt. Dabei stützt man sich auf ein Zonenmanagement. Im Norden, wo die wichtige Rentierhaltung im großen Stil verbreitet ist, sowie im Süden, wo Weidetiere gehalten werden, soll die Ansiedlung von Rudeln verhindert werden. Einzeltiere sind zwar überall im Grunde erlaubt, doch ansonsten setzt man auf eine strikte Bestandsregulierung. Und zwar mit Erfolg.
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Ohne Schutz vor dem Wolf auch keine Rentiere: Schweden als Vorbild?
Gleichzeitig werden in Mittelschweden verschiedene Modelle des Herdenschutzes erfolgreich angewandt, weil das dort topographisch möglich ist. Für Hechenberger ein Mittelweg, der auch für Österreich klappen könnte: „Im Tal sind Herdenschutzmaßnahmen möglich, da kann auch ein Lebensraum für Wölfe sein. Aber im Almbereich, dort wo das nachweislich nicht geht, muss man regulierend eingreifen können. Wir müssen die Möglichkeit haben, dass auf Risse reagiert werden kannwie eben auch in Schweden.“ 

Mehr Respekt gegenüber Bauern gewünscht

Die Wolfsdebatte in Österreich sei aktuell so aufgeheizt, dass vielfach der Respekt verloren gehe, so Hechenberger. Manchmal würden Bauern einfach ausgelacht, wenn sie von ihren Sorgen hinsichtlich Wolfsrisse erzählen. Dieser Spott würde Extremreaktionen in der Landwirtschaft befördern. Er bittet daher auch die Wolfsbefürworter um mehr Respekt gegenüber den Landwirten und die Anerkennung ihrer wichtigen Arbeit. Auch die sorgsam gefällten Entscheidungen der Kommissionen gelte es zu akzeptieren.

In der Grundsatzdebatte hat Hechenberger einen klaren Standpunkt: „Unsere Meinung ist: Der Wolf soll seinen Platz haben, aber es braucht selbstverständlich Regulierungsmöglichkeiten. Die Almwirtschaft soll weiter möglich sein. Das ist auch für die Artenvielfalt wichtig, denn wenn die Almen nicht mehr bewirtschaftet werden, dann verstauden sie. Wir haben aus dem Naturraum eine Kulturlandschaft gemacht, damit sie für den Menschen nutzbar ist. Das ist auch eine Frage der Sicherheit für darunter liegende Siedlungsgebiete“ bringt Josef Hechenberger einen weiteren Aspekt ins Spiel.

Essentieller Beitrag zum Katastrophenschutz

Die Bewirtschaftung der Almen mit Tieren sei die billigste und effektivste Form der Reduktion von Naturgefahren, stützt sich Hechenberger auf die Expertise von Rudi Mair. Der Tiroler Meteorologe und Lawinenexperte würde bestätigen, dass die Beweidung nicht nur für die Artenvielfalt und den Wirtschaftsraum wichtig sei, sondern auch maßgeblich zur Reduktion der negativen Auswirkungen von Naturkatastrophen wie Lawinen und Muren auf den Menschen beitrage. Hechenberger erklärt dazu:

Langhalmige Gräser und leicht biegsame, niedrige Zwergsträucher, wie sie auf Brachflächen vermehrt vorkommen, knicken unter der Schneefläche ein und bilden eine glatte Oberfläche, auf der sich Schnee schlecht halten kann. Die kürzeren, robusten Halme bewirtschafteter Wiesenflächen stellen hingegen einen deutlich griffigeren Untergrund dar, wodurch der Schnee besser hält.“
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Zigtausende Kilometer an Wanderwegen werden von der Almwirtschaft mitbetreut
Wichtig für Tourismus und Freizeitraum

Und dann ist da natürlich noch der gerade für Tirol so wichtige Tourismus. Über 6.000 Kilometer an Mountainbike-Strecke und 24.000 Kilometer an Wanderwegen würden auch von der Almwirtschaft quasi „mitbetreut“. Das hänge also auch alles an den Landwirten in den Bergen. Der Tourismus mache rund 17,5 Prozent der Bruttowertschöpfung aus, er sei der wichtigste Wirtschaftsfaktor im Land. 94 Prozent der Gäste fahren im Winter Ski oder Snowboard, 87 Prozent gehen im Sommer wandern.

Bis zu 60 Prozent der Pistenflächen würden sich auf Almgebiet befinden, eine bewirtschaftete Fläche brauche weniger künstlichen Schnee – und spare damit Strom und Energie. Hechenberger: „Kann sich der Wolf auch künftig weiter uneingeschränkt ausbreiten, sperren vor allem jene landwirtschaftlichen Betriebe zu, die bisher die Steilflächen der Pisten sowie die Almen bewirtschaftet haben. Die Wiederansiedelung des Wolfes in Tirol ist in weiterer Folge also auch mit der Tourismus- und Freizeitwirtschaft unvereinbar.“

Wie kann die Kluft verringert werden?

Stellt sich abschließend die Frage, wie nun die Kluft zwischen Wolfsbefürwortern und Wolfsgegner überwunden werden kann. Dazu Hechenberger: „Ich vermisse die objektive Information und Berichterstattung. Von Wolfsbefürwortern werden dann auch Beispiele dafür genannt, dass es in gewissen Regionen angeblich so gut funktioniere. Doch da wird eine falsche Hoffnung kommuniziert. Und je mehr man mit den negativen Auswirkungen wie Rissen konfrontiert ist, umso größer ist auch die Abneigung gegen den Wolf.

Die Lösung könne nur darin bestehen, dass wir uns von extremen Positionen entfernen. Es müsse objektiv bewertet werden, was mit der Rückkehr des Wolfes verbunden ist. Und es brauche den Einbezug der gesamten Gesellschaft, getragen von Respekt und gegenseitigem Verständnis. Landwirte und Tierschützer können sich das nicht alleine ausmachen, das Thema würde alle angehen.


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