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Meinung

Doppelinterview ÖVP & Grüne: „Wir können es auch rosarotes Ponygesetz nennen“

Woran liegt es, dass Österreich kein Klimaschutzgesetz hat? Journalistin Nadja Luze hat mit den beiden Nationalrats-Klimasprechern von ÖVP und Grüne gesprochen.

12/6/2022
  • Klima
  • Österreich
  • Umwelt
Doppelinterview ÖVP & Grüne: „Wir können es auch rosarotes Ponygesetz nennen“

Es ist ein zentraler Fixpunkt im Koalitionsübereinkommen, seit Auslaufen des alten Anfang 2020 hat Österreich aber kein aktuell gültiges Klimaschutzgesetz (KSG). Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 realistisch zu erreichen, braucht es rasch entsprechende Maßnahmen und Zwischenziele.

Die klimatischen, aber auch wirtschaftlichen Auswirkungen der Klimawandels – wie Temperaturanstieg und Wetterextreme - treffen hierzulande besonders wichtige Wirtschaftszweige wie Tourismus und Landwirtschaft, die schon kurz- und mittelfristig anfällig für negative Folgewirkungen zeigen. Es bedarf dringend eines Bündels an Maßnahmen und Gesetzen - ein bundesweites Klima(schutz)gesetz scheint weiterhin nicht in Sicht. Hoffnungen, dass der internationale Klimagipfel zeitnah national zumindest den einen oder anderen Teilerfolg mit sich bringen könnte, haben sich nicht erfüllt.

Liegt es am Widerstand von Ländern und Gemeinden, oder möchte der große Koalitionspartner dem kleinen den Erfolg nicht gönnen? Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) verbreitet weiterhin Zweckoptimismus, die Zweifel werden allerdings lauter, ob es in dieser Legislaturperiode noch zu einer Einigung kommen kann.

Rosarotes Ponygesetz

Trotz diverser gemeinsamer Teilerfolge bleibt die Situation verfahren. Allein den Begriff „Klimaschutzgesetz“ in den Raum zu werfen, trübt die Stimmung, wie sich im Doppel-Interview mit den Klimasprechern von ÖVP und Grünen zeigt. Vielleicht sollte der Causa ein neuer Name verpasst werden? „Wir können es auch rosarotes Ponygesetz nennen“ meint Lukas Hammer (Grüne). Kollege Johannes Schmuckenschlager hat zuletzt mit der Aussage, es habe „kein Problem damit, wenn kein Klimagesetz kommt“, für Aufruhr gesorgt. „Keine Priorität“ hat die Causa schon länger für ihn.

Grundsätzlich wird dem Bund der schwarze Peter zugeschoben, immer wieder heißt es allerdings, es hapere vor allem am Widerstand von Ländern und Gemeinden. „Hier passiert bereits sehr viel!“ betont Schmuckenschlager und verweist etwa auf die 735 Windräder in „seinem“ Bundesland Niederösterreich. 1994 wurde hier das erste Windrad des Landes errichtet, bis 2005 waren es bereits 264 und im Jahr 2021 zählt das Bundesland 735 Windkraftanlagen.

Status Quo

Die Zahlen sind dramatisch, die jüngsten Aktionen einiger Klimaschutz-Aktivisten ebenso: Drei Jahre bleiben Österreich laut einer aktuellen Studie, seine Klimaziele zu erreichen. Dann schließe sich das Fenster, in dem die Alpenrepublik ihren Anteil zum globalen Ziel, die Erde um nicht mehr als 1,5 Grad zu erwärmen, leisten kann. Einige Male hatte es bereits so ausgesehen, als ob ein Gesetz in greifbare Nähe gerückt wäre. Die Gas- und Energiekrise hat Verhandlungen allerdings nicht gerade leichter gemacht.

Einigkeit: Atomenergie nicht die Antwort, erneuerbare Energie Chance

Schigebiete ohne Schnee und Flüsse ohne Wasser dürften in der Alpenrepublik immer häufiger zu erwarten sein, erste Vorboten haben die Österreicher die letzten Monate am eigenen Leib gespürt. „Die Klimakrise ist real! . Das sehen auch immer mehr Menschen ein. Im Sommer konnte man den Gletschern beim Sterben zusehen“ mahnte Lukas Hammer. „Ich fühle mich auf meinem Weg bestärkt – wie viele Menschen, die heuer erstmals in ausgetrockneten Flussbetten spazieren gegangen sind.

Die Antwort liege mehr denn je bei den erneuerbaren Energien. „Atomkraft ist nicht die Lösung. In Frankreich hat man heuer gesehen, dass es kein Kühlwasser gegeben hat.“ Hier stimmt Kollege Schmuckenschlager zu. „Die Rolle von Atomenergie im Sinne einer möglichen Kompensation wird überschätzt.“ Einerseits sehe man augenscheinliche Auswirkungen der Klimaveränderung, andererseits stehe man vor „gewaltigen Fragen“ in Sachen Energieversorgung.

Viele Menschen wären zwar grundsätzlich bereit für Alternativen, sehen aber für sich selbst keine Möglichkeit. Bzw. stünden „Job und billige Energie“ im Fokus. Er verwies auf „handfeste, volkswirtschaftliche Potenziale“ bezüglich Versorgungssicherheit und Wertschöpfung im eigenen Land durch erneuerbare Energie. Hier müsse man schneller werden – etwa in Sachen beschleunigte UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung) oder Einbindung bzw. Beteiligung der Bürger in den Ländern und Gemeinden.

 „Hier haben wir viele Projekte scheitern gesehen“. Oft schlicht aus Befindlichkeiten heraus. Als ein Erfolgsprojekt sieht er Energiegenossenschaften und Energiegemeinschaften. Hammer verweist diesbezüglich auf kleine Grätzlgemeinschaften und die neu geschaffene Koordinierungsstelle, die etwa Musterverträge und konkrete Informationen für den ländlichen Raum und Möglichkeiten der Dezentralisierung und Kooperationen in Sachen Energieversorgung bietet.

Hammer lobte das gemeinsam beschlossene Gesetz, demzufolge bis 2030 die Stromversorgung komplett auf erneuerbare Energie umgestellt werden soll. Mit bis zu 1 Mrd. Euro werde hier pro Jahr gefördert – der Run auf Photovoltaik-Anlagen ist enorm. „Und die Leute rennen uns die Türe ein“, so der Grüne Umweltsprecher. „Viele Bürger sind weiter als die Politik. Jedes Windrad, das aufgestellt wird, wird in einem Bundesland aufgestellt. Da fehlt mir in vielen Bundesländern der Wille von ganz oben.“ Beide sehen hier die Regionen in der Pflicht – und Lokalpolitiker diverser Couleurs. Viel Potenzial wäre ungenützt, Gründe oft fadenscheinig.

 „Der Naturschutz wird in der Diskussion oft missbraucht. Das geht sich heute nicht mehr aus. Windräder sind das sichtbare Zeiten unserer Energieunabhängigkeit!“ zeigt sich Hammer überzeugt. Schmuckenschlager sieht dies sogar als Chance für den ländlichen Raum. Apropos Chance: „Enormes Potenzial“ attestiert Hammer Grünem Wasserstoff, dem "Champagner unter den Energieträgern". Auch auf Biogas müsse man vermehrt setzen, allerdings könne erneuerbares Gas nicht den gesamten Wärme-Gasbedarf decken. Schmuckenschlager spricht sich für einen Ausbau der Geothermie aus. „Der Punkt ist: Wo setzen wir welche Energie ein?“.

Die Uhr tickt

Wissenschaft und Aktivisten sind sich einig: Die Zeit drängt. Und doch kann sich die Republik nicht auf einen konkreten Text zum Klimaschutzgesetz einigen. Die ÖVP verweist auf Teilerfolge und Maßnahmen im Sinne eines umfassenden Gesetzes, die Ausformulierung und vor allem Sanktionen und Kontrollen haben aber bis dato keine Priorität.

Teilerfolge? Zahnlos ohne Verbindlichkeiten, Sanktionen und Kontrolle

Seit etwa 700 Tagen ist die Regierung mittlerweile beim Klimaschutzgesetz säumig. Gewessler zeigt sich stolz auf das von ihr durchgesetzte Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG). Es könnte vieles verändern - wenn der Bund durchgreift. EAG-Ziele widersprechen teilweise den viel weniger ambitionierten Zielen der Länder, die wiederum Druck auf Gemeinden ausüben müssten, damit sie geeignete Flächen auch umwidmen. Dagegen sträubt sich wiederum der Gemeindebund, Flächen neben bestehenden Kraftwerken werden nicht für den Ausbau erneuerbarer Energien umgewidmet, weil es etwa das Landschaftsbild stören würde.

Herz und Hirn

Lukas Hammer drängt die ÖVP weiterhin zur Pakttreue und fordert ein verbindliches, wirkungsvolles Klimaschutzgesetz. „Rahmenbedingungen bzw. ein ordnungsrechtlicher Rahmen sind wichtig“. Die Bundesländer müsse man allerdings mit ins Boot holen. „Sonst kann ich mir das einrexen“. Das alte Gesetz, paktiert unter rot-schwarzer Mehrheit, nennt Hammer, "wirkungslos". „Sanktionismus“ lehnt Schmuckenschlager ab, ebenso die Aufnahme des Klimaschutzes in die Verfassung. Wichtiger als Zielfestlegungen sind ihm Umsetzungsmechanismen, und da „tue sich sehr viel“: Etwa bei der erneuerbaren Energie und der erneuerbaren Wärme. Die Erreichung der Klimaneutralität bis 2040 sei ein gemeinsames Ziel der Regierung, das Klimaschutzgesetz habe dabei aber "nur nicht diese oberste Priorität". Er will „Klimaschutz mit Herz und Hirn“.

Die Koalition will weiter verhandeln, auch wenn es sich in dieser Legislaturperiode eventuell nicht mehr ausgehen könnte. Zeitplan gibt es weiterhin keinen.


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