An deftigen Worten spart der britische Arzt, Universitätsprofessor und Buchautor Chris van Tulleken im Interview mit der österreichischen Zeitung „Der Standard“ wirklich nicht. Die großen und bekannten Lebensmittelkonzerne würden sich wie „Parasiten“ verhalten, sie würden die Konsumenten krank machen. In einem neuen Buch widmet er sich den hochverarbeiteten Lebensmitteln, die mit zahlreichen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden.
Ähnlich wie bei Tabak und Alkohol
Multinationale Nahrungsmittelkonzerne wären ähnlich wie Pharma- oder Glücksspielkonzerne primär an ihrem Profit interessiert und würden dabei fragwürdige Methoden einsetzen: „Die Konzerne stellen mit den billigstmöglichen Zutaten süchtigmachende Substanzen her, um uns Geld abzuknöpfen, und reden uns über Werbung und Marketing ein, dass es sich dabei um echte Lebensmittel handelt.“
Das Problem seien hochverarbeitete Lebensmittel, die im Grunde nur aus einer sehr beschränkten Anzahl an Grundrohstoffen bestehen, die immer wieder neu zusammengewürfelt würden, um ein Maximum an Akzeptanz zu erreichen. Das funktioniere ähnlich wie bei einer Sucht: „Bei hochverarbeiteten Lebensmitteln werden etwa 50 Prozent der Menschen süchtig. Sie machen süchtiger als Heroin oder Zigaretten.“
Die Verantwortung würde daher maßgeblich auch der Staat tragen, der bei seiner Schutzfunktion gegenüber den Bürgern versage: „Im Moment werden wir von Unternehmen regiert, die wir nicht gewählt haben und die unseren Planeten verschmutzen. Wir alle sind Teil eines großen Experiments, für das wir uns nie freiwillig gemeldet haben. Ich denke, dass die Menschen von ihren Regierungen davor geschützt werden sollten.“
Nahrungsmittelkonzerne sind zu mächtig
Das Dogma des „freien Marktes“, ein Grundprinzip des Kapitalismus, funktioniere nicht, Konzerne bräuchten Regulierung: „Der freie Markt wird letztlich nur Monopole schaffen, die uns mit süchtigmachendem Müll versorgen. Unternehmen wie Pepsi, Heinz, Coca-Cola oder Nestlé stellen zwar ein etwas anderes Produkt her, aber sie sind im Grunde keinen Deut besser als die Tabakindustrie. Und deshalb müssen sie reguliert werden.“
Ein Verbot von gewissen Lebensmitteln würde der Forscher nicht anstreben, vielmehr aber echte Information und radikale Transparenz. Die Menschen würden sich, wenn sie vollumfassend informiert wären, gegen diese Produkte entscheiden. Es brauche andere Rahmenbedingungen, die Politik sei gefordert dafür zu sorgen. Leider wäre diese vielfach durch die Machenschaften der Konzerne korrumpiert.
Der Einfluss des Geldes
Es würde daher bislang kaum zu Änderungen kommen, „weil eine sehr kleine Anzahl von mächtigen Entscheidungsträgern und Konzernen kein Interesse daran hat, das System zu ändern. Konzerne wie Nestlé haben Einnahmen, die größer sind als das BIP der meisten Länder der Erde.“ Das Geld der Konzerne wirke: „Die Einzigen, die anderer Meinung sind, sind jene Leute, die von der Lebensmittelindustrie finanziert werden.“
Das gesamte, sehr lesenswerte Interview, kann im „Der Standard“ nachgelesen werden. Um die angesprochenen Themen geht es übrigens auch bei den „Österreichischen Konsumdialogen: Lebensmittel“, die von 28. bis 30. September 2023 in Steyr in Oberösterreich stattfinden. Der Eintritt ist frei, mehr Infos dazu finden sich unter www.konsumdialoge.at/lebensmittel.
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