Die Regiothek wurde für die Zukunft entwickelt. Leider ist dein Browser veraltet und unterstützt möglicherweise einige Techniken nicht mehr. Daher kann es zu Anzeigeproblemen kommen.

Du kannst z.B. Browse Happy besuchen um einen aktuellen Browser herunterzuladen.

Reportage

Steuer-Boykott: Waldviertler Protest gegen Flut von Billig-Schuhen aus China

Heini Staudinger, Gründer von GEA und der Waldviertler Schuhwerkstätten kündigte kürzlich einen der markantesten wirtschaftspolitischen Proteste an

11/28/2025
  • Lieferkettengesetz
  • Textilien
  • Österreich
  • Konsumentenschutz
Steuer-Boykott: Waldviertler Protest gegen Flut von Billig-Schuhen aus China

Heini Staudinger, Gründer von GEA und der Waldviertler Schuhwerkstätten kündigte kürzlich einen der markantesten wirtschaftspolitischen Proteste an: Er will für bestimmte Schuhe keine Mehrwertsteuer mehr abführen. Der Schritt kommt nicht überraschend für jene, die Staudinger seit Jahren verfolgen. Der Unternehmer, der seit Jahrzehnten das Gegenmodell zu globalisierten Lieferketten und Billigimporten verkörpert, spricht im Interview mit NEWS eine fundamentale Systemkritik aus.

Das wirtschaftliche Umfeld in Österreich und der EU diskriminiere Arbeit, Handwerk, regionale Produktion und kleine Betriebe – während internationale Online-Giganten und asiatische Billigimporte systematisch bevorzugt würden. Die Ankündigung, die Mehrwertsteuer bei bestimmten Waldviertler-Schuhen künftig bewusst nicht vollständig abzuführen, ist für ihn nicht nur eine wirtschaftliche Notwehrhandlung, sondern ein politisches Statement gegen ein aus seiner Sicht entgleistes Abgabensystem.

Billig-Importe zerstören heimischen Markt

Im Interview zeichnet Staudinger das Bild einer Schieflage, die sich über Jahre aufgebaut habe und inzwischen existenzbedrohend sei. Wenn seine Firma einen Schuh um rund 180 Euro verkauft, würden darauf – verteilt über Herstellung, Verwaltung und Verkauf – etwa 80 Euro an Abgaben entfallen. Diese Belastung sei in einem arbeitsintensiven Produktionsunternehmen wie den Waldviertler Schuhwerkstätten deutlich zu hoch, vor allem im Vergleich zu importierten Billigwaren, die in Asien unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen und vielfach mit staatlicher Subventionierung hergestellt werden.

Während lokale Betriebe Sozialabgaben, Lohnnebenkosten, Energiepreise und Steuern schultern müssen, gelangen Billigschuhe aus China oder anderen Drittstaaten oft nahezu abgabenfrei in die EU. Viele kleine Paketsendungen blieben unter der relevanten Wertgrenze und würden daher weder verzollt noch mit Umsatzsteuer belegt. Genau hier sieht Staudinger einen fundamentalen Konstruktionsfehler: Der globale Wettbewerb werde dadurch nicht über Qualität, Langlebigkeit und fairen Umgang mit Mensch und Umwelt entschieden, sondern ausschließlich über Preisdrückerei, Steueroptimierung und den systematischen Einsatz von Schlupflöchern.

Der Kern des Problems

Besonders scharf kritisiert er die Paketflut aus Asien, die jährlich in Milliardenhöhe zunehmen soll und bei der laut Untersuchungen der EU ein Großteil der Sendungen falsch deklariert sei – häufig von Onlineplattformen aus China, die Wendepunkte der globalen Niedrigpreisökonomie geworden sind. Für Staudinger ist das kein Nebenschauplatz, sondern der Kern des Problems: Ein System, das regionale Produktion massiv belastet, während es globale Billigimporte steuerlich schont, leite eine Entwertung von Arbeit, Handwerk und Qualität ein.

Wenn Österreich und die EU weiterhin nur zuschauen, würden die letzten regionalen Produktionsstätten aussterben. Dass das eigene Unternehmen nach vielen profitablen Jahren zuletzt zwei Geschäftsjahre mit Minus abschließen musste, sieht er als Symptom eines strukturellen Problems, nicht als unternehmerisches Versagen.

Mehrwertsteuer wird künftig bei gewissen Schuhen einbehalten

Vor diesem Hintergrund kündigt er im Interview seinen drastischsten Schritt an: Bei bestimmten Waldviertler-Schuhen soll künftig nur noch ein symbolischer Betrag an Mehrwertsteuer auf der Rechnung stehen. Den überwiegenden Anteil der Steuer werde er einfach nicht abführen. Gleichzeitig erklärt er, dass er diesen Vorgang dem Finanzamt selbst melden wolle – also eine Art bewusst herbeigeführte Selbstanzeige, die politische Wirkung entfalten soll.

Er bezeichnet die Aktion als „Schwarzgeld am Freitag“ – ein kalkulierter Regelbruch, der ihn in direkte Konfrontation mit den Behörden bringt, den er aber als moralisch legitim betrachtet. Er wolle auf diese Weise sichtbar machen, wie absurd das Steuersystem funktioniere, das arbeitende Menschen und regionale Produktion „bestrafe“, während es global agierenden Unternehmen enorme Freiräume lasse.

Um die Tragweite dieser Aktion zu verstehen, muss man Staudinger und sein Unternehmertum kennen. GEA, die Waldviertler Schuhwerkstätten und das gesamte Ökosystem drumherum – bestehend aus Möbeln, Matratzen, einer Akademie, einem Verlag, einem Versandhandel und einem Netzwerk aus Geschäften – sind seit Jahrzehnten mehr als nur ein Wirtschaftsunternehmen. Sie bilden ein Gegenmodell zum globalisierten Kapitalismus. Staudinger stellte Reparierbarkeit, Langlebigkeit und faire Arbeitsbedingungen ins Zentrum seines Tuns, lange bevor Nachhaltigkeit zum Marketingbegriff wurde.

Keine Trotzreaktion, sondern logische Fortführung

Die Waldviertler Schuhe gelten als Symbol für ein Wirtschaften, das den Ressourcenverbrauch minimiert und gleichzeitig eine Region stärkt: Arbeitsplätze im Waldviertel, handwerkliche Fertigung, Materialien aus möglichst nachvollziehbaren Quellen. Viele seiner Schuhe werden über Jahre hinweg repariert – Sohlenwechsel statt Wegwerfen. Die Philosophie hinter dem Produkt ist immer auch Gesellschaftskritik.
Staudinger selbst, geboren 1953 in Oberösterreich und ohne abgeschlossenes Studium, wurde über Jahre zu einer öffentlichen Figur der alternativen Wirtschaftsszene. Er brach Studien in Theologie, Medizin und Soziologie ab, arbeitete in Afrika, beschäftigte sich früh mit Entwicklungszusammenarbeit und alternativen Wirtschaftsmodellen und gründete in den frühen 1980er Jahren sein erstes Schuhgeschäft. Später baute er das Waldviertler-Unternehmen nicht nur als Fabrik, sondern als kulturelles Projekt auf.

Aus dieser Biografie heraus wird klar: Die jetzt angekündigte Verweigerung der Mehrwertsteuer ist keine spontane Trotzreaktion, sondern Ausdruck einer lang gereiften politischen Haltung. Staudinger sieht den Staat in der Pflicht, jene zu unterstützen, die Arbeit schaffen, Ressourcen sorgfältig nutzen und regionale Wertschöpfung betreiben. Stattdessen werde Arbeit mit hohen Abgaben belegt, während Kapital- und Importströme vielfach bevorzugt würden. Er spricht von einem „falschen System“, das sich gegen jene richte, die tatsächlich etwas produzieren. Wenn ein Konzern über Steuerschlupflöcher Milliarden verschieben könne, während ein regionaler Betrieb für jeden Arbeitsschritt zur Kasse gebeten werde, dann sei das System nicht nur ungerecht, sondern selbstzerstörerisch.

Kalkuliertes Risiko

Damit verbindet Staudinger seine Steuerverweigerung mit einer grundsätzlichen Frage: Wie viel ist uns regionale Produktion wert? Und wie lange kann ein Land eine wirtschaftliche Struktur aufrechterhalten, in der Handwerk und lokale Herstellung durch hohe Lohnnebenkosten und Steuern systematisch teurer sind als der Import von Produkten, die unter fragwürdigen Bedingungen hergestellt werden? Er fordert ein Umdenken, bei dem Arbeit und regionale Wertschöpfung steuerlich entlastet werden, während Importe und global-vernetzte Logistik stärker belastet werden müssten. Seine Kritik richtet sich damit nicht nur gegen Österreich, sondern gegen eine globale Wirtschaftslogik, die auf Kosten der sozialen und ökologischen Qualität geht.

Sein Protest ist zugleich riskant. Rechtlich bewegt er sich bewusst auf Kollisionskurs, wirtschaftlich setzt er seine Firma unter Druck. Doch Staudinger ist sich der Risiken bewusst und kalkuliert sie ein. Die angekündigte Selbstanzeige ist in seinem Verständnis ein Akt der Transparenz – aber auch ein öffentlicher Aufschrei. Ihm geht es um etwas Größeres: Er will eine gesellschaftliche Debatte anstoßen, die weit über die Frage hinausgeht, wie viel Steuer man auf Schuhe zahlen muss. Er will sichtbar machen, dass die Frage der Abgabenlast letztlich eine Frage der Gerechtigkeit ist: ob die Gesellschaft jene schützt und fördert, die regional produzieren, oder jene, die global auslagern, automatisieren und auf Kosten anderer Standorte Wettbewerbsvorteile erzielen.

Aufmerksamkeit auf wichtiges Thema

GEA und die Waldviertler stehen deshalb exemplarisch nicht nur für ein Unternehmen, sondern für ein Prinzip: dass hochwertige Produkte ihren Preis haben müssen und dass ihre Herstellung unter fairen Bedingungen möglich bleibt, wenn das System die Rahmenbedingungen richtig setzt. In dieser Logik ist die teilweise Nichtabfuhr der Mehrwertsteuer kein Versuch, sich zu bereichern, sondern ein symbolischer Bruch, der zeigen soll, dass es so nicht weitergehen kann. Staudinger will nicht akzeptieren, dass jahrzehntelang aufgebaute Strukturen und Arbeitsplätze durch ein Abgabensystem gefährdet werden, das unausgewogen ist und fehlgesteuerte Anreize setzt.

Ob der Protest Wirkung zeigt, politisch oder rechtlich Konsequenzen hat oder in der öffentlichen Diskussion verhallt, wird sich erst zeigen. Sicher ist jedoch, dass Staudinger es erneut geschafft hat, ein Thema ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, das sonst unter Zahlenkolonnen und bürokratischen Details verborgen bleibt: die Frage, welches Wirtschaftssystem wir langfristig wollen – eines, das auf billige Importe baut und regionale Produktion ausblutet, oder eines, das Arbeit, Regionalität und Qualität schützt.

Das gesamte Interview bei NEWS kann man hier nachlesen.


In eigener Sache: Wir arbeiten unabhängig von Parteien und Konzernen. Um unseren Fortbestand zu sichern, sind wir auf Abonnent*innen angewiesen. Bitte schließen Sie jetzt ein Abo ab und ermöglichen Sie damit unsere Berichterstattung. Danke!

Jetzt abonnieren
Logo Oekoreich

Werde Mitglied bei oekoreich+ und erhalte Zugang zu unseren Top-Stories und exklusive Einblicke.

Mehr erfahren

Jetzt weiterlesen

oekoreich möchte ein bestmögliches Onlineangebot bieten. Hierfür werden Cookies gespeichert. Weil uns Transparenz wichtig ist können Cookies und die damit verbundenen Funktionalitäten, die nicht für die Grundfunktion von oekoreich notwendig sind, einzeln erlaubt oder verboten werden.
Details dazu findest du in unserer Datenschutzerklärung. Dort kannst du deine Auswahl auch jederzeit ändern.