In 30 Jahren könnten die Meere leergefischt sein. Dieses Horror-Szenario wird in Dokumentationen wie „Seaspiracy“, „Was Fische wollen“ oder zuletzt im empfehlenswerten Beitrag des ausgezeichneten Journalisten Robert Gordon (österreichischer Umweltjournalismus-Preis 2021) „Fische essen“ deutlich. Wir haben die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.
Konsumenten in Österreich lieben Fisch. Wenig verwunderlich: gilt er doch als gesundes (dank der Omega-3-Fettsäuren), schmackhaftes und leicht verdauliches Lebensmittel. Jährlich werden pro Kopf durchschnittlich acht Kilogramm Fisch verzehrt, ein Großteil davon stammt aus den Weltmeeren. Die Nachfrage steigt, zuletzt hatte sie sich gar verdoppelt. Jedoch kommen nur etwa 6 Prozent des konsumierten Fisches aus österreichischer Produktion, der Rest – über 90 (!) Prozent – wird importiert.
Wer deckt also diese große Nachfrage und ist Fisch wirklich so gesund wie oft behauptet wird? Berichte über das Leerfischen der Meere stellen zudem die ökologische Frage, können Konsumenten Fisch ohne schlechtes Gewissen essen? Und wenn ja, welchen?
Überfischung der Weltmeere
Klar ist: die immer weiter steigende Nachfrage nach Fisch hat dazu geführt, dass mittlerweile ein Drittel der Meere überfischt sind. Die industrielle Fischerei mit ihren großen Flotten (bis zu 150 Meter lange Industrie-Schiffe) begehen Tag für Tag Raubbau an den Weltmeeren. Experten kritisieren dabei, den sogenannten „fishing down the food web“-Prozess. Letzterer bedeutet nichts anderes als, dass das Nahrungsnetz von oben herab leer gefischt wird. Die Industrie angelt beginnend bei den großen Raubfischen an der Spitze des Nahrungsnetzes bis schlussendlich zu den kleinen Fischarten mit der dramatischen Konsequenz, dass große Raubfische sowie nach und nach kleinere Spezies aussterben.
Besonders gut sichtbar wird dies beim allseits beliebten Thunfisch. Er ist auf Pizza, in Salat oder Sushi zu finden und in den handlichen Aluminiumdosen schnell eingekauft. Einige Arten dieses Raubfisches gibt es bereits nicht mehr. Zerstörerische Fangmethoden und Beifang verschlimmern das Problem. Die Überfischung der Weltmeere hat überdies nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Komponente. Der immer größer werdende Hunger nach Fisch drängt beispielsweise kleine einheimische Fischer in Somalia in die Piraterie.
Nicht vertrauenswürdige Gütesiegel
Davor schützen auch allseits bekannte Zertifizierungen wie zum Beispiel das MSC-Gütesiegel (Marine Stewardship Council) wenig. Selbsternanntes Ziel ist es, Fisch nachhaltig zu produzieren. Versprochen wird den Konsumenten ein Lebensmittel aus kontrollierten Fängen, und dafür der Fischbestand nach Regionen erhoben. Doch wie vertrauenswürdig ist das Siegel, wie sehen die Kontrollen aus? Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace kritisieren wiederholt die Vergabekriterien dieser Zertifizierung.
Ihrer Einschätzung zufolge dient das Siegel nicht dem Schutz der Fische. Den Zertifizierungs-Standard beurteilen sie als schwach, besonders da bei Produkten mit dem MSC-Gütesiegel der Einsatz von Grundschleppnetzen erlaubt ist, die bekanntlich den Meeresgrund schädigen. Sie pflügen den Meeresboden um und zerstören so wertvolle Ökosysteme wie Tiefsee-Korallenwälder innerhalb weniger Sekunden.
Wo kommt der Fisch her?
Nur etwa 6 Prozent des hierzulande konsumierten Fisches stammt aus österreichischer Produktion, der Rest – über 90 (!) Prozent – wird importiert. China gilt als weltweit größter Produzent, Importeur und Exporteur von Fisch und Meeresfrüchten. Forscher fanden nun heraus, dass China ca. 75 Prozent der importierten Fische und Meeresfrüchte wieder exportiert. Somit fungiert das Land nur als Zwischenstopp, billige Arbeitskräfte und niedrigerer Gesundheitsstandard gewährleisten eine günstige Verarbeitung der Fischwaren.
Die langen Transportwege schaden zudem dem Klima. Möchten Konsumenten herausfinden, wo der gekaufte Fisch herkommt, gibt die Herstellernummer auf dem Fischprodukt darüber Auskunft. Die großen verarbeiteten Mengen und intransparente Daten über Bezugsquellen führen jedoch zu wenig Wissen über die tatsächliche Herkunft der Fische und Meeresfrüchte und machen eine Nachverfolgung oft schwierig. Zum Ärger vieler Verbraucher häufen sich Fälle, bei denen importierter Fisch verarbeitet, anschließend als hochwertigerer Fisch exportiert wird – und so zu einem höheren Preis im Supermarktregal landet.
Doch lieber Fisch aus (heimischer) Aquakultur?
Ist anstelle von Meeresfisch dann jener aus (heimischer) Aquakultur zu bevorzugen? See-, Bach- oder Regenbogenforelle aus österreichischer Produktion finden sich im Supermarktregal und versprechen ein besseres Gewissen beim Fischkonsum. Produzenten verweisen in Hinblick auf den oft höheren Preis auf die lange, aufwendige Produktionsdauer, weil diese Fische langsam wachsen. Der höhere Preis ist jedoch auch durch das Futter für die Fische begründet – Fischmehl. Dieses ist meist teuer und nicht nachhaltig. Es entsteht aus Abfällen der Fischverarbeitung und dem nicht benötigten Beifang.
Größter Produzent für Fischmehl ist Peru. Als Futter für die Aufzucht von Speisefischen kommt zu einem geringen Anteil (ca. 10 Prozent) jedoch auch Geflügel- oder Schweinemehl, also Schlachtnebenprodukte von gesund geschlachteten Tieren zum Einsatz. Die gesunden Omega-Fettsäuren, die Konsumenten am Fisch schätzen, werden dem Futter in Form von Leinprodukten beigemengt. An einer billigeren und vor allem nachhaltigeren Alternative zu Fischmehl wird bereits gearbeitet. Als vielversprechend haben sich die Larven der schwarzen Soldatenfliege herausgestellt.
Sie fressen Getreidenebenprodukte oder Gemüse- und Obstreste. Nach ihrer Reifung werden die Larven gepresst. Es entsteht das Insektenfett sowie als Nebenprodukt der Presskuchen. Letzterer ergibt gemahlen das Alternativprodukt Insektenmehl mit einem hohen Proteingehalt und einer langen Lagerfähigkeit. Die gesunden Omega-3-Fettsäuren werden auch hier zugesetzt – mit Algenprodukten.
Doch lieber selbst fischen?
Von dem einst reichen Fischbestand in österreichischen Gewässern können Angler mitteile nur noch träumen. So fallen z.B. große Donaufische Schiffsschrauben zum Opfer. Auch Kraftwerke tragen mit der schnellen Abfolge von Wasserschwall und anschließendem Absenken des Wasserspiegels zum Fischsterben bei. Fischfresser verschlimmern die Situation zusätzlich. Realität ist daher häufig, dass (fangreife) Fische in Flüssen ausgesetzt werden. Ohne dieses menschliche Zutun, würden Fischer so gut wie nichts mehr fangen. Das ist keinesfalls ökologisch, aber wirtschaftlich, wie Fischereiverbände betonen. Denn Angler zahlen Lizenzen, damit sie ihrem Hobby nachgehen können. Mit diesem Geld werden unter anderem Flüsse umgestaltet, damit sich wieder Fische dort ansiedeln und leben können.
Besorgniserregende Schätzungen gehen davon aus, dass 2030 nur noch 10 Prozent jener Fische, die wir heute im Meer finden, existieren. Der täglich stattfindende Raubbau in den Weltmeeren aber auch das in Aquakulturen benötigte Fischmehl lassen diese Prognose leider in greifbare Nähe rücken. Vielfach scheinen Konsumenten den Bezug zum Lebens- und Nahrungsmittel, aber vor allem zum Lebewesen Fisch verloren zu haben. Dabei gehen viele Forscher mittlerweile davon aus, dass es sich bei Fischen um fühlende Lebewesen handelt, die wahrscheinlich sogar Schmerz empfinden können.
In eigener Sache: Wir arbeiten unabhängig von Parteien und Konzernen. Um unseren Fortbestand zu sichern, sind wir auf Abonnent*innen angewiesen. Bitte schließen Sie jetzt ein Abo ab und ermöglichen Sie damit unsere Berichterstattung. Danke!