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Kolumne

Zu Besuch bei Sieglinde und Kronprinz Rudolf

In ihrer Kolumne „Stadt, Land, Fluss“ geht Tanja Paar diesmal der Frage nach, wie wir Kindern Sortenvielfalt nahe bringen.

5/2/2021
  • Österreich
  • Landwirtschaft
  • Artenvielfalt
Zu Besuch bei Sieglinde und Kronprinz Rudolf

Charlotten?? Als ich gefragt wurde, wusste ich nicht einmal, wie das geschrieben wird. Ich hatte auch eine ungenaue Vorstellung davon, worum es sich handelt. Irgendeine Frucht, die auf Bäumen wächst, so etwas Ähnliches wie Marillen, so stelle ich mir das vor. Ich war gefragt worden, ob ich bei der Ernte helfen könnte. Für wenig Geld, aber Kost und Logis für ein Wochenende, irgendwo in Niederösterreich. Das versprach ein Abenteuer zu werden und das Geld war ohnehin immer knapp als Studentin. Also sagte ich zu, sah mich schon an einem lauen Sommerabend im Charlottengeäst sitzen wie „Der Baron auf den Bäumen“ im Roman von Italo Calvino.

Weit gefehlt! Am Tag der Ernte wühlte ich mit 20 anderen bei glühender Hitze mit bloßen Händen tief gebückt in einem Feld. Die zarten Schalotten, sie waren für die Spitzengastronomie bestimmt, sollten nicht durch die scharfen Kanten von Harke oder Stecher verletzt werden. Eine Knochenarbeit. Wie schmerzten Rücken und Glieder von der ungewohnten Verrenkung, als wir abends endlich auf den Traktoranhänger klettern durften und durch die Weite der Felder zurück ins Quartier ruckelten. Nie schmeckten Wein und Jause besser als an diesem Wochenende! Das ist natürlich die romantische Erinnerung der Städterin – und das harte Brot derer, die Erntearbeit über Wochen händisch machen müssen. Welche Zustände auch in Österreich bisweilen dabei herrschen, deckte die Kollegin Colette M. Schmidt im Vorjahr bezüglich eines Spargelbetriebs in Mannsdorf an der Donau im Marchfeld auf. Aber nicht um die Verletzung des Arbeitsrechts, Lohndumping und die Unterbringung der ArbeiterInnen in Elendsquartieren soll es in dieser Kolumne diesmal gehen, sondern um einen anderen, durchaus positiven Effekt meines Ernteausflugs.

Abgesehen von der lehrreichen Erfahrung schwerer körperlicher Arbeit – auch wenn es nur eine kurze war – blieb der Eindruck des Haptischen, der Gerüche, der Erde auf den Händen. Ich möchte ihn nicht missen. Wenn wir heute also von dem drohenden Verlust der Artenvielfalt sprechen, halte ich die persönliche Erfahrung für unabdingbar für deren Erhalt. Wie sollen wir das drohende Ende von alten Sorten erfassen, wenn wir nicht einmal ihre Namen kennen? Wenn manche Kinder nicht den Zusammenhang zwischen Erdäpfel und Pommes frites verstehen? So wie es mir nach meiner Arbeit am Feld erst gelang, die Schalotte zu schätzen, so werden wir die Vielfalt von Pflanzen und Nahrungsmitteln höher bewerten, wenn wir sie in ihren Facetten schmecken, riechen, fühlen.

Jedes Kind wird nach einem Erntebesuch eine festkochende Sieglinde von einer mehligen Alma unterscheiden können, einen kleinen, hellen, rotbackigen Kronprinz Rudolf von dem größeren, dunklen, aber gut lagerbaren Boskoop. Als Schriftstellerin behaupte ich: Wir müssen die Namen der Pflanzen und Tiere kennen, um sie zu schätzen und zu bewahren. Nicht nur Baum, Blume und Schmetterling, sondern Rotbuche, Hyazinthe und Tagpfauenauge – um bei den einfachen zu bleiben. Erst mein Feldversuch mit der Schalotte hat mir als naturfernen Städterin ihre besondere Qualität bedeutsam gemacht. Drum raus mit allen Schulkindern in Garten und Feld –  als verpflichtenden Teil des Biologieunterrichts - für unsere Sortenvielfalt.

Welche Pflanzen haben Sie verwechselt? Welche alten Sorten liegen Ihnen besonders am Herzen?
Schreiben Sie mir an tanja.paar@oekoreich.com


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