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Meinung

„Die Gerte sollte man niemals verwenden, um zu bestrafen“

Paul Schockemöhle, mehrfacher Europameister, deutscher Meister im Springreiten, Medaillengewinner bei olympischen Spielen, fordert das Ende der Disziplin „Reiten“ im modernen Fünfkampf.

8/15/2021
  • Tiere
„Die Gerte sollte man niemals verwenden, um zu bestrafen“

Was vergangene Woche bei den olympischen Spielen in Japan grausame Wirklichkeit war, darf sich nicht wiederholen: unfassbare Bilder von abscheulichster Tierquälerei. Eine deutsche Reiterin, namens Annika Schleu, schlug auf ihr Springpferd ein, weil dieses die Hindernisse verweigerte. Kim Raisner, ihre Trainerin, hatte sie dazu noch mit „Hau-drauf“-Rufen angetrieben. Diese Bilder dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Sie dürfen sich nicht wiederholen. Denn Saint Boy, so heißt das beklagenswerte Pferd, war sichtlich überfordert.

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Paul Schockemöhle und Deister in Hickstead, Großbritannien

oekoreich erreichte den legendären deutschen Springreiter Paul Schockemöhle. Mit seinem Pferd Deister hatte der gebürtige Deutsche in den Achtzigerjahren Sportgeschichte geschrieben. Der Hannoveraner-Wallach war eines der erfolgreichsten Springpferde. Doch das war nicht von vornherein klar. Deister wurde ursprünglich als Dressurpferd angeboten, scheute aber bei jeder Gelegenheit und galt als sehr schwierig zu reiten. Schockemöhle und Deister wurden ein Team. Denn er hatte das Vertrauen des Pferdes gewinnen können.

Schockemöhle geriet immer wieder ins Kreuzfeuer von Tierschützern, die ihm vorwarfen, dass auf seinem Hof umstrittene Trainingsmethode angewendet worden sind. Schockemöhle aber antwortete mit erfolgreichen Pferden. Er selbst engagierte sich für bessere Bedingungen für Pferd und Reiter im Sport und setzte verschärfte Kontrollen durch. Bei den aktuellen olympischen Spielen trainierte er die japanische Sprungmannschaft. Wir erreichten ihn nach seiner Rückkehr aus Japan.

oekoreich: Herr Schockemöhle, was haben Sie empfunden, als Sie die Bilder aus Japan gesehen haben?

Schockemöhle: Ich bin der Meinung, dass der moderne Fünfkampf in dieser Form überholt ist. Das Reiten muss gestrichen werden. Denn man tut den Pferden, den Reitern und insgesamt der Reiterei mit solchen Bildern keinen Gefallen. Wenn man diesen Sport bei den Olympischen Spielen behalten will, muss man das Reiten durch eine andere Disziplin ersetzen oder einen Vierkampf daraus machen.

oekoreich: Hätte der japanische Reitverein, dem das misshandelte Pferd Saint Boy gehört, nicht einschreiten müssen und dieser Reiterin das Pferd sofort wegnehmen sollen?

Ich weiß nicht, ob die Regeln das erlauben. Tatsache ist, man muss einfach nur konsequent sein und das Reiten streichen. Das ist weder dem Sportler gerecht, weil der Glück haben muss, dass er das richtige Pferd, bekommt und es ist gegenüber den Pferden nicht gerecht, weil die zum Teil schlechte Reiter bekommen.

oekoreich: Beim modernen Fünfkampf haben Pferd und Reiter 20 Minuten Zeit, um einander kennenzulernen. Ist das genug?

Auch bei der Weltmeisterschaft der Springreiter gab es den Pferdewechsel, den ich nicht befürwortet habe. Auch da war grundsätzlich der Reiter benachteiligt, der sein Pferd am besten ausgebildet hat, doch das gehört zum Reitsport dazu. Deshalb hat man den Pferdewechsel abgeschafft. Aber trotzdem hat man bei einer Weltmeisterschaft nie solche Bilder gesehen wie jene aus Japan, weil die Reiter erfahren sind und wissen, wie man mit Pferden umgeht.

oekoreich: Bilder wie jene von Annika Schleu bestärken die Meinung, dass Pferdesport Tierquälerei ist, respektive heute immer mehr dazu wird?

Man ist bemüht, dem mit starken Kontrollen zu begegnen. Die Kontrollen auf alle Reitpferde sind wesentlich ausgedehnt worden. Speziell im Springsport kann man ein Pferd nicht zu etwas zwingen. Man muss es langsam an seine Aufgaben heranführen. Gute Leistungen beruhen im Reitsport auf Vertrauen, wenn kein Vertrauen zwischen Pferd und Reiter besteht, wird das auch nicht funktionieren. Auch wenn mir anderes nachgesagt wurde (Anfang der 1990er Jahre warf man Paul Schockemöhle die Trainingsmethoden in seinem Stall vor, Anm.) habe ich im Reitsport zum Wohl der Pferde schon einiges verändert, zum Beispiel habe ich die Youngster-Prüfung eingeführt, dass sich die Pferde langsam an diesen Sport gewöhnen können.

oekoreich: Sollte man diese Reiterin und diese Trainerin jemals wieder in die Nähe eines Pferdes lassen?

Man muss das auch aus der Sicht des Sportlers sehen. Sie war in anderen Disziplinen vorne, trotzdem will ich nicht verharmlosen, dass ihr die Sicherungen durchgebrannt sind.

oekoreich: Viele halten Springreiten an sich für Tierquälerei.

Für viele Pferde ist es normal, einen Springparcours zu absolvieren. Ich kann ihnen eine kleine Geschichte dazu erzählen. Ich bin jahrelang mein Pferd Deister geritten. Er war 13 Jahre im Sport im Einsatz. Als 18-jähriger war er noch in Aachen (eines der bedeutendsten Springturniere in Europa, Anm.). Er wäre auch noch ein Jahr später dabei gewesen, wenn ich nicht einen Unfall gehabt hätte. Deister bekam dann das Gnadenbrot mit vier anderen Pferden, Walzerkönig, Landlord waren dabei. Sie wurden altersgemäß aus dem Sport genommen. Sie waren so miteinander befreundet, dass ich nur ein Pferd am Halfter nehmen musste und die anderen liefen hinterher. Einmal führte jemand Walzerkönig über den Hof, die anderen folgen, doch Deister stoppte vor einm LKW mit geöffneter Ladeklappe. Er stieg in den Transporter sidgnalisierte mir damit, ich will wieder los. Damals war Deister 25 Jahre.
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Deister, das Pferd von Paul Schockemöhle. So sollte es sein: die Ohren aufmerksam aufgerichtet, das Pferd weiß, es muss nichts fürchten.

oekoreich: Wie alt wurde Deister?

Knapp 30.

oekoreich: Gerte und Sporen sind für viele Symbole von Tierquälerei, sollte man diese nicht verbieten?

Radsporen (scharfe Sporen, Anm.) sind verboten. Aber für ein gut ausgebildetes Pferd ist der Einsatz von Sporen nicht mehr als eine Aufforderung, schneller zu werden oder einen größeren Galoppsprung zu machen. Die Gerte sollte man nur als Ausbildungshilfe verwenden, niemals, um zu bestrafen. Wenn ich ein Pferd erst bestrafen muss, weil es nicht von sich aus bereit ist, mitzumachen, wird man auch nicht erfolgreich sein. Vertrauen ist die Basis des Erfolges.

oekoreich: Wie erzieht man ein Pferd richtig, indem man möglichst viel Zeit mit ihm verbringt?

Es ist keine Frage der Zeit, sondern des Wie. Pferde sind genauso unterschiedlich wie Menschen, einige sind phlegmatisch, einige sind übernervös. Das ist wie bei der Kindererziehung, Pferde sind in der Ausbildung wie Kinder, das sind Wesen, die denken, die lernen müssen.

 




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